Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Beachvolleyball – vom Strandsport zu Olympia

 

Historisches und Politisches

Die Anfänge der Sportart BEACHVOLLEYBALL werden nach Kalifornien verortet, wo schon in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts die ersten offiziellen Turniere ausgerichtet wurden. 1992 in Barcelona war Beachvolleyball olympische Demonstrationssportart, seit 1996 ist die Sportart olympisch. 1997 fand in Los Angeles die erste offizielle Beachvolleyball- Weltmeisterschaft statt. In Deutschland gab es seit 1992 eine nationale Serie, die um das Jahr 2000 bezogen auf das Preisgeld die zweitgrößte Serie der Welt war. Basierend auf zwei nationalen Serien unterschiedlichen sportlichen Niveaus konnten im Deutschland der 90er und frühen 2000er Jahre pro Wochenende bis zu 60 Teams um Ranglistenpunkte kämpfen. Dieses breite Angebot stellte die Basis für die späteren sportlichen Erfolge dar. Mit der Bronzemedaille von Jörg Ahmann und Axel Hager 2000 in Sydney boomte Beachvolleyball in Deutschland. Olympiasiege (2012 Männer, 2016 Frauen) und Weltmeistertitel (2009 Männer, 2017 Frauen) sowie 11 Europameistertitel seit 2000 sind die deutsche Bilanz.

Während in der Vergangenheit die Teams sich weitgehend selbst managten und ihre Finanzmittel selbst einwarben, haben rechtliche Veränderungen auf Weltverbandsebene die Situation für viele Teams verschlechtert. Früher traten die weitgehend autonomen Teams gegenüber den Verbänden als Verhandler auf und setzten ihre Interessen durch. Sportliche  Leistungen gemessen an Ranglistenpunkten waren das wesentliche Entscheidungskriterium für den Verband, die Teams zu nominieren. Die Ranglistenpunkte wurde auf den jeweiligen Spieler „gebucht“, auch bei neu zusammengesetzten Teams nahm der Spieler die Punkte mit.

Der Zugang zu internationalen Turnieren wurde, bis auf vereinzelte Wildcardregelungen, ausschließlich nach Ranglistenpunkten und erbrachter sportlicher Leistung gewährt. Um den Verbänden mehr Macht zu geben wurde nach den Spielen in Peking die Regel eingeführt, dass die Teams ihre Punkte nicht nur für sich, sondern für Ihre Verbände erkämpfen. Die Verbände bekommen die Startplätze, die sie intern frei vergeben können. Das führte und führt teils zu Verbandsentscheidungen, Nachwuchsteams oder Perspektivteams auf Startplätze zu setzen, die diese nicht erkämpft hatten und die Teams, die sportlich genau diese Plätze gesichert hatten, nicht starten zu lassen. Es gab schon zivilrechtliche Klagen gegen Einzelentscheidungen zur Vergabe von Startberechtigungen.

Die Preisgelder sinken seit Jahren erheblich, die Sponsorengelder gehen zurück. Um sich selbst zu vermarkten, muss ein Team Erfolge vorweisen. Wenn durch Verbandsentscheidungen die erfolgreichen Teams nicht starten können, macht es die Eigenvermarktung sehr schwierig. Sportpolitisch wurde eine Zentralisierung eingeführt mit aktuell drei Bundes-Stützpunkten an den OSPs in Stuttgart, Berlin und Hamburg. Dort werden Trainingsmöglichkeiten, medizinische Unterstützung und Betreuung gewährt. Außerdem stellt der Verband Bundes- und Landestrainer, die für die einzelnen Teams verantwortlich sind. Das ermöglicht finanziell schwachen Teams professioneller zu trainieren.

Glücklicherweise werden „Insellösungen“ erlaubt. Teams, die sportlich sehr erfolgreich sind, wird erlaubt, sich ihr eigenes Umfeld weiter zu gestalten und die Möglichkeiten der Stützpunkte nach eigenem Ermessen zu nutzen.

Objektiv betrachtet sind alle Erfolge bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften nur von „Insel“-Teams erreicht worden, die sich nicht der Zentralisierung und der Führung des Verbandes unterworfen haben. Für mich zeigt das, dass Eigenverantwortung zu mehr Eigenmotivation führt und offensichtlich zu besseren sportlichen Erfolgen.

2001 erfolgte durch den Weltverband eine maßgebliche Regeländerung: Das Spielfeld wurde von 81qm (9x9m) auf 64qm (8x8m) verkleinert. Gleichzeitig wurde die Rallypoint-Zählweise eingeführt, um die Spieldauern zu verkürzen. Sieger ist, wer zwei Gewinnsätze bis 21 mit 2 Punkten Vorsprung für sich entscheidet, ein eventueller Entscheidungssatz endet bei 15 Punkten, wenn 2 Punkte Vorsprung erzielt sind, ansonsten wird in jedem Satz so lange gespielt, bis ein Team die nötigen zwei Punkte Vorsprung gewonnen hat.

Medizinisches Betreuungskonzept

Zwei Besonderheiten beeinflussen die Sportart Beachvolleyball im Vergleich zum Hallenvolleyball:

Erstens: Es darf von außen nicht gecoacht werden. Die Spieler müssen sich selbst regulieren und taktisch eigene Entscheidungen treffen. Mögliche Matchpläne werden nach Videoanalyse der Gegner vorher mit den Coaches abgesprochen, danach endet die Einflussnahme von außen.

Zweitens: Es kann nicht ausgewechselt werden. Wenn ein Spieler durch Verletzung/Krankheit ausfällt, ist das Spiel verloren. Mögliche medizinische Behandlungszeiten sind die offiziellen Spielunterbrechungen: das sind die jeweils einminütigen  technischen Auszeiten, die in den beiden ersten Sätzen nach 21 gespielten Punkten gewährt werden, zusätzlich eine frei wählbare 30-Sekundenauszeit pro Team einmal pro Satz. Außerdem die einminütige Pause mit Seitenwechsel nach Satzende.

Jeder Spieler kann zusätzlich einmal pro Spiel eine medizinische Auszeit (RIT= recovery interruption time) beantragen, die maximal 5 Minuten dauern darf, aber vorher beendet werden kann. Bei schweren und blutenden Verletzungen ist der Schiedsrichter aufgefordert, das Spiel sofort zu unterbrechen. In diesem Fall kann der Athlet zu einem späteren Zeitpunkt seine medizinische Auszeit noch nehmen.

In jedem Fall muss der Spieler nach 5 Minuten einsatzfähig sein. Ist er das nicht, wird das Spiel abgebrochen und zugunsten des Gegners gewertet.

Das bedeutet für die medizinische Betreuung, die im optimalen Fall aus Sportmediziner und Physiotherapeut besteht, dass während des Spiels nur sehr kurze Zeiträume für eine mögliche Behandlung  genutzt werden können. Der Spielpartner darf während dieser Unterbrechungen zeitgleich ebenfalls behandelt werden, so dass eine Arbeitsaufteilung zwischen dem betreuenden Arzt und Physiotherapeut möglich ist.

Im deutschen Beachvolleyball haben wir deswegen geeignete Abläufe für die Betreuung erarbeitet und festgelegt.

Jedes Team wird vor dem Spiel (unmittelbare Wettkampfvorbereitung ca. 90 Minuten vor Spielbeginn) physiotherapeutisch vorbereitet. Dazu gehört das Einstellen der Gelenke, die Behandlung vorbestehender funktioneller Probleme, das Anlegen von Tapes, Verbänden etc.

Bewährt hat sich die neurologische Aktivierung mittels Voijta-Techniken, die eine neurologische Bahnung und Effektivisierung der Bewegungen bewirkt, die Stunden anhält.

Danach werden die Spieler von mir kinesiologisch funktionell durchuntersucht.

Muskeln haben Organbezüge, Organprobleme können sich als Muskeldysfunktion zeigen. So sind z.B. die Oberschenkelstrecker und Bauchmuskeln Dünndarmmuskeln. Bei für den Athleten oft nicht spürbaren Darmproblemen, und das kann schon der Genuss von unverträglichen Nahrungsmitteln sein, kommt es zu einer Dysfunktion der jeweils assoziierten Muskeln. In Bezug auf den Dünndarm bedeutet das eine reduzierte Rumpfstabilität und ein schlechteres Sprungvermögen. Diese sind dem geübten Auge des beobachtenden Arztes deutlich, teils bevor der Athlet es selbst bemerkt. Abhilfe schaffen z.B. prophylaktisch geklebte Kinesiotapes, die dysfunktionale Muskeln stabilisieren können.

Die Athleten haben gelernt, dass es diese Muskeldysfunktionen gibt und dass es Sinn macht, diese aufzuspüren und zu behandeln.  Außerdem wird getestet – ebenfalls kinesiologisch – ob Mikronährstoffe, insbesondere Elektrolyte, fehlen. Diese werden vor und während des Spiels substituiert, zumeist über Getränke. In einem Beachvolleyballspiel bei 27°C verliert ein Spieler pro Stunde bis zu 2,5 l Wasser, – ein Defizit, dass er, wenn er mehrere Spiele an einem Tag absolvieren muss, nicht vollständig ausgleichen kann. Der Spieler wird von seinem medizinischen Personal mit den entsprechenden individuell zusammen gesetzten Drinks versorgt und lernt, keine Quelle von Fremden anzunehmen (cave: Doping). Krämpfe sind nahezu immer durch Kochsalzmangel ausgelöst und haben sich erheblich reduziert, seit in den Spielerbereichen Salzgebäck und Salzstangen angeboten werden.

Am Ende der Vorbereitung wird besprochen, welche Informationen der Arzt vom Spieler braucht, bevor er tätig wird und wie er möglicherweise tätig wird. Ob z.B. bei großen Hitze (Wien 2017 64°C im Sand, Tokio 2021 54°C) Eisbeutel oder nasse Tücher in den Unterbrechungen gereicht werden sollen, oder wie bei vorbestehende Problemen verfahren werden soll (med. Auszeit, Spritze, Verband, manuelle Therapie etc.)

Während des Spiels dürfen Spieler jederzeit mit dem Arzt/Physiotherapeuten kommunizieren, wobei die Aktivität vom Spieler ausgehen muss.

Wenn so verfahren wird, ist das medizinische Personal vor dem Wettkampf vollständig im Bilde und kennt mögliche Schwachstellen und Problembereiche der Spieler. Jede im Spiel auftretende neue Problematik ist dann wirklich neu und den Aktionen geschuldet, die der Betreuer von außerhalb während des Spiels beobachten kann. Wenn man den Bewegungsablauf und die möglichen Unfallmechanismen gesehen hat, fällt es leichter, die neuen Probleme zu erkennen, gezielt kinesiologsich auszutesten und gezielt zu behandeln.  So kam es während des Vorrundenspiels gegen die Niederlande in Rio 2016 vor dem Entscheidungssatz zu einer medizinischen Auszeit, weil der Spieler das Gefühl hatte, „etwas stimmt im Knie nicht“, er könne nicht richtig springen. Der Befund: Fibulablockade, damit auch Fehlstellung im Sprunggelenk. Druck auf Fibula bei Dorsalflexion des Fußes, reflektives Ausschalten des M. rectus femoris beim Tiefgehen vor dem Absprung. Knie o.B.

 

 

Kinesiologisch kann man diese Zusammenhänge direkt darstellen, die Knochen und dann vor allem die zugehörigen Muskeln behandeln und aufgetretene neurologische Muster resetten. Der Spieler war in 5 Minuten beschwerdefrei belastbar und konnte weiterspielen. Nur das eingeübte Verhalten und das aufgebaute Vertrauen ermöglichen es dem Spieler und dem Arzt in dieser Stresssituation vor einem Entscheidungssatz miteinander das Problem in kürzester Zeit zu identifizieren und zu behandeln.

Vorteil für den Arzt ist es in solchen Situationen, dass die erfolgte Behandlung sofort der Überprüfung unterzogen wird. Der Spieler geht direkt in den Wettkampf, wenn möglich.

Die Rückmeldung erfolgt prompt und unnachgiebig. Es zählt nur das Ergebnis: spielfähig und leistungsfähig oder nicht.

Nach jedem Spiel gibt der Athlet eine kurze verbale Rückmeldung über seinen gesamten körperlichen Zustand an das medizinische Personal und die Planung des weiteren Tages. Nach dem Spiel wird der Spieler zunächst etwas essen, um seine Kohlenhydratspeicher schnell zu füllen. Muss er noch einmal an dem Tag spielen, wird der zeitliche Ablauf besprochen und später, wie oben beschrieben, verfahren. Wenn es sein letztes Spiel an dem Tag war, kommt er abends oder nachts zum Physiotherapeuten und dann zum Arzt. Wir nennen das ausbehandeln. Es werden die Probleme des letzten Spiels besprochen, die Gelenke neu eingestellt,  Lockerungs- und Regenerationsmassagen durchgeführt, nötige Salbenverbände oder Lymphtapes angelegt und alles für eine optimale Regeneration getan. Der Arzt checkt auf funktionelle und organische Störungen und Mikronährstoffdefizite und substituiert, wenn nötig. Früher konnten wir per Infusion die Regeneration erheblich beschleunigen, durch die aktuellen Dopingregularien fällt das seit Jahren weg.

Nur durch die beschriebene Vorgehensweise können wir proaktiv Schwächen, Krankheiten und Verletzungen verhindern, die, im schlimmsten Fall, zum Spielverlust und zum Turnierende führen können.

Nach dem Ende jeder Saison erfolgt üblicherweise ein ärztlicher und physiotherapeutischer Checkup der Athleten zusammen mit den Trainern, bei dem die Schwachpunkte und Verletzungen der abgelaufenen Saison angesprochen werden. Gemeinsam werden Trainingsinhalte angepasst, begleitende Übungen für den Athleten festgelegt und Kontrollintervalle besprochen. Im Winter erfolgt für viele Spieler nicht nur der Kraftaufbau, sondern es werden eventuell nötige oder gewünschte Umstellungen der sportartspezifischen Techniken z.B. im Zuspiel oder Blockverhalten trainiert, die wiederum Folgen für Muskeln und Gelenke haben können. Einseitige Belastungen und Überlastungen zu vermeiden und prophylaktisch die passenden Ausgleichsübungen zu besprechen und in die Trainingspläne einzuarbeiten, ist das Ziel der Zusammenarbeit von medizinischer Abteilung  mit Athleten und deren Betreuern. Bei diesem jährlichen Check-up erfolgt auch die hautärztliche Krebsvorsorge, die in dieser Sportart zwingend ihren Platz haben muss.

Funktionelle Störungen, aber auch Beeinflussung des muskuloskelettalen Systems durch Störungen der inneren Organe, lassen sich aus meiner Sicht nur mit Applied Kinesiology in so kurzer Zeit und so präzise darstellen. „Kinesiologie“ ist keine Paramedizin, sondern hilft, richtig erlernt und angewandt, als weiterführendes diagnostisches Tool in der Bildgebung nicht sichtbare Störungen zu identifizieren. Kinesiologie ist eine komplementäre Untersuchungsmethode, keine Behandlungsform.

Demnach gibt es keine kinesiologische Behandlung, nur eine Untersuchung, die zu entsprechenden therapeutischen Interventionen führt. Dazu stehen alle therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung, seien es manuelle Therapie, Akupunktur, Elektrotherapie, etc. aber auch medikamentöse Therapien, Heilinjektionen und letztlich auch nötige Operationen.

Fotos: Tank (2), Pixabay (4)


DER AUTOR

Dr. Michael Tank (61) ist Verbandsarzt des DVV für Beachvolleyball seit 1992

Therapeutikum Hamburg

www.tank-deutschland.de