Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Schlüsselbeinbrüche, Kopfverletzungen, Rippenbrüche, Schürfwunden

578 Tote als Folge von Fahrrad-Kollisionen

Schlüsselbeinbrüche, Kopfverletzungen, Rippenbrüche, Schürfwunden: Radprofis erleben die meisten Unfälle in der ersten Tour-Woche

Ein kurzer kräftiger Druck auf den Brustkorb von Rolf Aldag genügt. Ein Schrei und die Diagnose ist klar:„Die Rippe ist gebrochen“, bestätigt Gérard Porte, der Chefarzt der Tour de France die Diagnose. „Damit fährt er höchstens noch zwei Tage.“ Der Radprofi aus Ahlen war am Tag zuvor auf die rechte Seite gestürzt. Neben den typischen Schürfungen und Prellung an Hüfte und Knie hatte sich das am Trikot befestigte Mikrofon des Funkgeräts beim Aufschlag auf die Strasse wie ein Stempel in den Brustkorb gedrückt und die sechste Rippe gebrochen. Doch auch die Schmerzen, die ihn bei jedem Atemzug behinderten und durch eine Bronchitis noch schlimmer wurden, konnten Rolf Aldag nicht daran hindern, die Tour de France 2002 zu Ende zu fahren.

Befasst man sich mit dem Thema Vorbeugung von Verletzungen im Radsport, muss man zunächst wissen, welche Verletzungen und in welcher Häufigkeit sie auftreten. Dabei stellt man fest, dass es zahlreiche Unfallstatistiken gibt, in denen Unfälle im Straßenverkehr mit Radfahrern erfasst werden, insbesondere von Kindern, es aber in der Regel keine Differenzierung der Verletzungen gibt.

Dem Statistischen Bundesamt wurden für 2005 knapp 80 000 Verkehrsunfälle mit Verletzungs¬folgen für Radfahrer gemeldet. Dabei waren 578 Todesfälle zu beklagen, davon 41 Kinder unter 15 Jahren und 285 Erwachsene über 65 Jahren. Die meisten Unfälle mit Fahrradfahrern passieren innerorts (etwa 90 Prozent). Statistiken kann man natürlich in unterschiedlichster Weise interpretieren, aber es zeigt sich auf jeden Fall, dass Radfahren eine motorisch und koordinativ anspruchsvolle Form der Fortbewegung ist. Sobald diese Fähigkeiten noch nicht oder nicht mehr optimal sind, und davon muss man bei Kindern und bei Senioren ausgehen, nimmt die Gefährdung deutlich zu. Im Gegensatz zum Auto hat man auf dem Rad keine Schutzzone und die Sichtbarkeit im Straßenverkehr ist deutlich schlechter. Die Geschwindigkeiten werden oft unterschätzt, sowohl vom Radfahrer als auch von anderen Verkehrsteilnehmern.

Anders als im allgemeinen Straßenverkehr liegt für den Radsport eine aktuelle Studie über Verletzungshäufigkeit und –lokalisation vor. Hier hat Dr. Carsten Temme (Kreiskrankenhaus Rheinfelden), der orthopädische Mannschaftsarzt des T-Mobile Teams, zusammen mit seinem Doktoranden Helge Riepenhof die Verletzungen bei 40 Profiradsportlern über einen Zeitraum von fünf Jahren erfasst und ausgewertet. Erstaunlicherweise zeigt sich, dass ein Radprofi bei

31 100 gefahrenen Jahres¬kilometern im Durchschnitt nur alle 36 900 Kilometer so stürzt, dass schwerwiegendere Verletzungen als Schürfwunden die Folge sind. Etwa 15 Prozent aller Stürze ereignen sich im Training, dabei allerdings 75 Prozent bei Kollisionen mit PKWs.

Im Wettkampf sind Massenstürze die Hauptursache für Verletzungen. Zu hohe Geschwindigkeiten und Fahrfehler folgen mit Abstand. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass bei den besten Radprofis der Juli mit der Teilnahme an der Tour de France der verletzungsträchtigste Monat ist. Das große Fahrerfeld und die Wichtigkeit des Rennens führen dazu, dass die Radprofis hier bewusst ein höheres Risiko eingehen. Dabei ist die erste Tour-Woche mit den Massensprints immer auch die gefährlichste.

Die häufigste Verletzung im Straßenradsport ist die Schlüsselbeinfraktur mit 13 Prozent gefolgt von Rippenbrüchen mit 8 Prozent. Kopfverletzungen sind auch bei Radprofis nicht so selten. Meist handelt es sich um Gehirnerschütterungen mit den typischen Zeichen: Ausfall des Kurzzeitzeitgedächtnisses, Kopfschmerzen und in der Folge häufig Verspannungen der Nackenmuskulatur. Interessanterweise fahren die Profis im Training selten mit Helm. Im Rennen ist es seit Mai 2003 Pflicht, zuvor war es freiwillig.

Um Verletzungen beim Radfahren zu verhindern, gilt es, Stürze und Unfälle zu vermeiden. Mehrere Faktoren sind zu beachten: Bei der Ausrüstung ist die Verkehrssicherheit des Fahrrads wichtig. Materialfehler können zu verheerenden, weil nicht voraussehbaren Stürzen führen, wenn zum Beispiel der Lenker abbricht. Ein Beispiel aus dem Profisport ist der schwere Sturz von George Hincapie vom Discovery Team bei Paris-Roubaix in diesem Jahr.

Im Straßenverkehr sollte man auf Sichtbarkeit und angepasste Geschwindigkeit achten. Beleuchtung und Reflektoren sind vorgeschrieben und sinnvoll. Verkehrs- und Technikschulung bei Kindern in der Schule ist besonders wichtig, da Koordination und Geschicklichkeit trainiert werden können. Aber auch die verkehrsbezogenen Fähigkeiten können geschult werden. Wahrnehmung und Beurteilung der Situation überfordern Kinder unter acht Jahren, weshalb die Teilnahme am Straßenverkehr bei ihnen nicht sinnvoll und die Benutzung des Gehweges vorgeschrieben ist.

Die meisten Todesfälle im Straßenverkehr ereignen sich im Alter zwischen 10 und 15 sowie über 65 Jahren. Ursache ist oft eine Fehleinschätzung der eigenen oder der Geschwindigkeit der anderen Verkehrsteilnehmer. Gerade hier wären Techniktraining und Übungsplätze präventiv besonders sinnvoll. Autofahrer müssen lernen, Radfahrer ernst zu nehmen und als vollwertige Verkehrsteilnehmer zu akzeptieren. Innerorts sind Radfahrer oft genauso schnell oder sogar schneller als Autos.

Radprofis haben Vorbildcharakter. Aus diesem Grund und weil Kopfverletzungen häufig sind und lebensgefährlich sein können, ist die Helmpflicht aus medizinischer Sicht zu befürworten. Fahrradhelme sind inzwischen leicht und gut belüftet, so dass es keine rationalen Gründe gibt, auf den Helm zu verzichten.

Veranstalter von Radrennen sollten an ihre Verantwortung für die Gesundheit der Sportler erinnert werden. Zielpassagen mit engen Kurven, vielen Fahrbahnteilern oder Straßenbahnschienen sind prädestiniert für Massenstürze. Und wenn im Finale Geschwindigkeiten um 70 Stundenkilometern erreicht werden, kann das tödlich sein.

Fahrradfahren ist eine der besten Sportarten für das Herz-Kreislaufsystem und die Gelenkbelastung ist verglichen mit anderen Sportarten nur gering. Neben der Ausrüstung gilt es, durch die Teilnahme am Straßenverkehr einige Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, damit der positive Gesundheitsfaktor nicht durch einen schweren Unfall zunichte gemacht wird.

Dr. Lothar Heinrich, Freiburg und Leipzig

Der Autor absolvierte zunächst das Studium der Medizin in Freiburg, war dann AIP bei Dr. Heinz Birnesser in der Abteilung für Sportorthopädie/Sporttraumatologie der Universitätsklinik Freiburg und wurde anschließend in die Abteilung für Sportmedizin zunächst unter Professor Joseph Keul, jetzt Professor Hans-Hermann Dickhuth, übernommen. Er schloss die Weiterbildung zum Diplom-Osteopath DAAO in Deutschland und den USA ab und erlangte die Promotion über Höhentraining bei Profiradfahrern. Seit 1995 ist Dr. Lothar Heinrich Mannschaftsarzt des T-Mobile Teams und der Deutschen Radsport-Nationalmannschaft der Männer bei Straßen-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Im April diesen Jahres wurde er im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der Universitätsklinik Freiburg zum Leiter der Sektion Sportmedizin des IAT Leipzig ernannt.

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