Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Skisprung

Sehr geehrte Damen und Herren,

die besten Skispringer werden traditionell bei der Vier-Schanzen-Tournee ins Neue Jahr fliegen. Spannung, Faszination und Gänsehautfeeling sind garantiert, wenn am 30. Dezember in Oberstdorf das Auftaktspringen startet. Garmisch-Partenkirchen ist am Neujahrstag die zweite Station, bevor es in Österreich – in Innsbruck (4. Januar 2017) und Bischofshofen (6. Januar 2017) – in die Entscheidung geht. Warum die Springer weniger hungern müssen, warum zu weite Sprünge tückisch sind und welche Faktoren das Risiko von Verletzungen minimieren können, erklärt Dr. med. Jürgen Barthofer im aktuellen GOTS-Newsletter.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch im Namen des Präsidiums der GOTS ein frohes Weihnachtfest sowie einen guten Rutsch in ein gesundes, erfolgreiches und friedvolles Neues Jahr wünschen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org


32. Jahreskongress der GOTS – 22.-24. Juni 2016 – Grand Hotel Esplanade BerlinDer 32. Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) findet vom 22. bis 24. Juni 2017 im Grand Hotel Esplanade in Berlin statt. Noch bis zum 8. Dezember 2016 können Sie einen Beitrag zum wissenschaftlichen Programm leisten und ein Abstract über die Kongresswebsite www.gots-kongress.org einreichen. Der beste Vortrag sowie die drei besten Poster werden jeweils mit einem Preis und einer Geldprämie ausgezeichnet. Interdisziplinäre Workshops und ein eigenes Programm der Young Academy erwarten Sie am PreDay (22. Juni 2017), zu dem Kongresspräsident PD Dr. Oliver Miltner und Kongresssekretär Dr. Michael Krüger-Franke gleichfalls herzlich einladen.


Wir möchten Sie zudem auf drei Veranstaltungen hinweisen: Zum 20. Sporttraumatologischen Symposium “Arno Arnold” lädt der Thüringer Sportärztebund vom 27. bis 29. Januar 2017 nach Oberhof ein (www.sportmedizin-oberhof.de). Der 27. Kongress des Berufsverbandes für Arthroskopie findet vom 27. bis 28. Januar 2017 in Düsseldorf statt (www.bvask.de/bvask-kongress-2017.html). Skifahren, Snowboarden, Biathlon und Langlauf sind die Schwerpunkte des 11. Weiter- und Fortbildungskurses Sportmedizin vom 16. bis 19. Februar 2017 in Ruhpolding (www.sportmedizin-kurs.de).

Skispringen: Faszination und Risiko

Das Skispringen hat seinen Ursprung im skandinavischen Raum. Schon Ende des 18. Jahrhunderts soll es in der norwegischen Armee zum Trainingsalltag gehört haben. Die wohl erste Skisprungschanze im damaligen Europa wurde um das Jahr 1900 am Feldberg in Deutschland gebaut. Seit den ersten Olympischen Winterspielen 1924 in Chamonix gehört Skispringen durchgängig zum olympischen Programm, das seit Sotschi 2014 durch einen Wettbewerb für Skispringerinnen von der Normalschanze ergänzt wurde.

Es sieht so leicht aus, wenn die Spingerinnen und Springer die Anlaufspur herunterfahren, vom Schanzentisch abheben und gleichsam wie ein Vogel durch die Luft fliegen. Doch es ist eine besondere Herausforderung im Skisprunglauf, all die mühevoll über viele Jahre trainierten körperlichen und geistigen Fähigkeiten in einem äußerst kurzen Intervall zwischen Abstoßen vom Balken bis zum Aufsprung punktgenau abzurufen – und zu einem perfekten Flugsystem zusammenzuführen. In dieser zeitlichen Spanne, in der viele verschiedene Belastungen auf den Athleten einwirken.

Flug im V-Stil: Manuel Fettner, der mit dem Team Österreichs 2013 in Val di Fiemme Weltmeister geworden ist, lässt die Faszination des Skispringens erahnen.
Abb.1: Flug im V-Stil: Manuel Fettner, der mit dem Team Österreichs 2013 in Val di Fiemme Weltmeister geworden ist, lässt die Faszination des Skispringens erahnen. Copyright: Österreichischer Ski-Verband (ÖSV)

Abb2: Auch im Grünen kann gesprungen werden: Manuel Fettner landet beim Sommertraining auf speziellen Matten.
Abb.2: Auch im Grünen kann gesprungen werden: Manuel Fettner landet beim Sommertraining auf speziellen Matten.

Voraussetzungen

Springerinnen und Springer haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend weg vom unterernährten hin zum athletischen Typen entwickelt. Dafür gesorgt hat vor allem eine Regeländerung, die den individuellen BMI-Wert (Body-Maß-Index) ins Verhältnis zur Skilänge setzt. Das ist begrüßenswert; ändert aber nichts daran, dass die Sportler dennoch das ganze Jahr über durch diätetische Maßnahmen versuchen müssen, ihr Idealgewicht zu erreichen bzw. zu halten. Manchen Studien zufolge kann durch eine Reduktion des Körpergewichts die Sprungweite um bis zu vier Meter/Kilo Gewichtsreduktion verlängert werden. Nichtsdestotrotz ist die tägliche Auseinandersetzung mit der Waage für manchen Athleten äußerst belastend.

Auch das Krafttraining muss so fein abgestimmt werden, dass vor allem die Schnell- und Maximalkraft bestmöglich gefördert werden. Gleichzeitig darf der Athlet aber nicht zuviel Muskelmasse aufbauen, was wiederum zur Gewichtszunahme führen würde. Vorsicht ist bei tiefen Kniebeugen mit Langhanteln geboten, die nahezu mit dem doppelten Körpergewicht beladen sind; sie  stellen eine große Belastung vor allem für die Knie und die Wirbelsäule dar.

Gefahren und Verletzungen

Auch die Krafteinwirkung beim Aufsprung ist teilweise extrem groß. Vor allem dort, wo ein Skispringen für gewöhnlich gewonnen wird. Bisweilen sogar im Bereich des sogenannten “Hillsize”-Punktes, wo die Neigung der Aufsprungbahn geringer ist und eine perfekte Telemark-Landung dadurch erschwert bzw. unmöglich gemacht wird. Hinzu kommen natürlich auch die große Hebelwirkung der Ski beim Verschneiden bzw. Verkanten im Auslauf, die verschieden gefährlichen Bindungssysteme sowie generell die Krafteinwirkungen beim Aufsprung in Abhängigkeit von der Flugkurve.

Die vielen Knieverletzungen dokumentieren nur zu gut diese Gefahren. Aber leider kam es in den letzten Jahren auch zu wirklich schweren, mitunter lebensbedrohlichen Verletzungen wie Schädel-Hirn-Traumata und Querschnitts-Verletzungen an der Wirbelsäule. Es bleibt zu hoffen, dass die vorgeschriebenen Änderungen an den Sprunghelmen und die Verwendung von Rückenprotektoren diese Risiken mindern.

Inzidenz und Prävention

Der internationale Ski-Verband (FIS) hat 2011 die Verletzungshäufigkeit im Skisprunglauf untersucht. Dabei lag die Inzidenz von Unfällen mit Bewusstlosigkeit bei einem Wert von 0,5 pro 1.000 Sprünge. Knieverletzungen mit einem Ausfall des Patienten von mehr als 28 Tagen traten in einem Zeitraum von 4 Jahren bei 2 % der männlichen und 3,9 % der weiblichen Athleten auf. Bei Skispringerinnen also beinahe doppelt so häufig wie bei Skispringern (Flørenes et al. 2011).

Hinsichtlich der Verletzungsarten werden neben Kontusionen vor allem Frakturen (38,9 %), Verletzungen im Schultergürtelbereich bzw. Schultereckgelenk (Klavikula, Akromioklavikulargelenk) sowie Kopfverletzungen mit begleitender Commotio (22,2 %) beobachtet (Goertzen et al. 2001). Zunehmend treten aber auch Kniegelenkverletzungen mit Beteiligung des vorderen Kreuzbandes auf. Auch wenn die Verletzungswahrscheinlichkeit gemessen an anderen Sportarten als eher gering einzuschätzen ist, sollte alles unternommen werden, das Verletzungsrisiko zu minimieren.

Folgende Faktoren können das Verletzungsrisiko minimieren:

Psyche und äußere Bedingungen

Aber auch psychische Belastungen spielen im Skispringen und speziell auch im Skifliegen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie überall im Spitzensport kann der unbändige Siegeswille auch dazu führen, dass  die Athleten gewisse Risken auf sich nehmen. Aber selbstverständlich sind es auch die verlockenden Preisgelder, die Prämien der Sponsoren und der zumindest latente Erfolgsdruck der Öffentlichkeit, die zu einer mehr oder minder großen mentalen Belastung für die Sportlerinnen und Sportler führen können.

Dabei kommen beim Skispringen insbesondere äußere und klimatische Bedingungen hinzu, die eine mehr oder minder herausragende Bedeutung haben. Nicht selten führen Wind und Schneefall bei den Wettkämpfen Regie und beeinflussen die Entscheidung über Sieg und Niederlage nicht unwesentlich. Da ist es für den Sportler nicht so leicht, „bei sich zu bleiben“, sich zu konzentrieren und die Widrigkeiten auszublenden, um am Schanzentisch das perfekte Timing zu erwischen.

Abb3: Mannschaftsarzt Dr. Jürgen Barthofer (M.) mit den österreichischen Skispringern, die bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi hinter dem deutschen Team die Silbermedaille gewonnen haben: (v.l.) Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer, Thomas Diethart, Michael Hayböck.
Abb.3: Mannschaftsarzt Dr. Jürgen Barthofer (M.) mit den österreichischen Skispringern, die bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi hinter dem deutschen Team die Silbermedaille gewonnen haben: (v.l.) Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer, Thomas Diethart, Michael Hayböck.

Das Skifliegen

Besonders groß ist die Belastung natürlich beim Skifliegen. Hier sind sogar Weiten jenseits der 250 Meter möglich. Den weitesten gestandenen Sprung überhaupt schaffte bis dato der Norweger Anders Fannemel, der am 15. Februar 2015 in Vikersund bei 251,5 Metern landete. Den deutschen Rekord hält Severin Freund mit 245 Metern; bester Österreicher ist Stefan Kraft (246,5 m); bester Schweizer ist Simon Ammann (238,5 m).

Skifliegen wird nicht speziell trainiert. Für die Springer braucht es deshalb eine besondere Form der Überwindung – zum Teil ist sogar ein bisschen Angst mit im Spiel, welche die nervliche Anspannung deutlich größer werden lässt. Ein erheblich höherer Adrenalinspiegel sowie ein vermehrter Harndrang führen bei den Athleten zu einem vermehrten Flüssigkeitsverlust und daraus resultierender Gewichtsabnahme.

Bereits kleine Fehler stellen beim Skifliegen ein Sicherheitsrisiko dar und können zu gravierenden Stürzen und Verletzungen führen. Zu einer Zunahme der physischen und psychischen Belastung kommt es aber auch durch die signifikant höhere Geschwindigkeit bei der Anfahrt sowie Landegeschwindigkeiten um die 130 km/h – hinzu kommt die unbekannte Windsituation.

Zusammenfassung

Beim Skifliegen – aber auch auf kleineren Schanzen – kann der hohe Luftstand Probleme hervorrufen. Wenn die Flugparabel nicht stimmt, der Springer demzufolge zu hoch fliegt, kann der Radiusdruck bei der Landung extrem werden. Es kann zu Knieschäden und -verletzungen kommen. Negativ wirkt sich sicherlich auch der enge Terminkalender aus, der  insbesondere für die Spitzenathleten ein generelles Problem ist.

Die hohe Dichte der Weltcupveranstaltungen und Großveranstaltungen führt unweigerlich dazu, dass die Zeit zur Regeneration immer kürzer wird – wenn eine angemessene Pause nicht sogar unmöglich ist. Ein Faktor, der die Belastung stark beeinflusst. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Risiken obsiegt die Faszination des Fliegens. Freude und Gänsehautfeeling zugleich sind es, welche die Athletinnen und Athleten antreiben und die Zuschauer an die Sprunganlagen dieser Welt und vor die Fernsehschirme locken.

Über den Autor:

Dr. med. Jürgen Barthofer ist Arzt für Sportmedizin und Sporttraumatologie sowie Facharzt für Unfallchirurgie mit dem Schwerpunkt Kniechirurgie und Bewegungsapparat-Therapie in Linz. Seit 2008 ist er im Österreichischen Ski-Verband (ÖSV) Teamarzt für Skisprunglauf und Nordische Kombination sowie seit 2010 Arzt des Nationalen Olympischen Komitees Österreichs. Barthofer gehörte bei diversen nordischen Ski-Weltmeisterschaften sowie den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 und Sotschi 2014 zum medizinischen Team der österreichischen Mannschaft.

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