Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Bei eingeschränkter Heilungs- und Regenerationsfähigkeit

Knorpelzelltransplantation – neue Konzepte in der Behandlung von Knorpeldefekten beim Sportler

Die Funktion und Belastbarkeit von Gelenken im Sport steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der intakten Struktur und Integrität des Gelenkknorpels. Veränderungen der Zusammensetzung und Architektur der Gelenkoberfläche durch Trauma oder Überlastung im Sport vermindern die Leistungsfähigkeit des Bewegungsapparates und können zu chronischen Schmerzen und funktionellen Einschränkung führen. Die einzigartige Komposition des hyalinen Gelenkknorpels erfüllt seine Aufgabe in der Gewicht- und Kraftübertragung sowie als Schockabsorber und Gleitfläche in einem beweglichen Gelenk. Gesundes Knorpelgewebe erneuert seine Struktur ein Leben lang, besitzt einen Selbstschmiermechanismus, der Gleiteigenschaften mit einem Friktionskoeffizienten von einem Fünftel von dem von Eis auf Eis erlaubt, und übertrifft bei weitem mechanische und funktionelle Eigenschaften jeder hochtechnischen, polierten Metalloberfläche eines Gelenkimplantates.

Ein schwerwiegendes Defizit und damit auch medizinisches Problem dieses Gewebes liegt in der eingeschränkten Heilungs- und Regenerationsfähigkeit. “Ist der Gelenksknorpel einmal zerstört, gibt es keine Heilung”, wurde von Hunter 1741 festgestellt, und seither von Ärzten und Forschern oft resignierend zur Kenntnis genommen. Während beim älteren Menschen der Gelenkersatz, als eine der erfolgreichsten Behandlungsmethoden in der Orthopädie eine suffiziente Therapie bietet, stehen wir beim jungen, sportlich aktiven Patienten vor einem therapeutischen Problem. Einerseits wird eine möglichst rasche Wiederherstellung der Gelenkfunktion angestrebt, andererseits soll die progressive Gelenkdegeneration unter Ausweitung des Knorpeldefektes sowie Präarthrosen mit frühzeitiger Einschränkung der Gelenkfunktion vermieden werden. Die Behandlung des Knorpeldefektes beim jungen
(< 40 a) Patienten stellt daher eine große Herausforderung an die Orthopädie dar. Die Einbeziehung von Zellkultur, molekularbiologischen Methoden und Gentechnologie haben Methoden des “Tissue engineering” in die Behandlung von Knorpeldefekten gebracht.

Die direkte operative Behandlung von Knorpeldefekten umfasste bisher die arthroskopische Knorpelglättung, die Knorpelbohrung nach Pridie, die Abrasionsarthroplastik und die Mikrofrakturierung nach Steadman. Ziel der direkten operativen Methoden ist entweder durch Eröffnung der Blutgefäße der subchondralen Lamelle eine Einblutung mit anschließender Vernarbung zu erzielen oder pluripotente Stammzellen in den Defekt einzubringen, um eine Knorpelregeneration zu induzieren. Alle diese Methoden können die vollständige Regeneration von Gelenkknorpel nicht erreichen und führen zu teilweise faserknorpeligem Mischgewebe. Die strukturelle Ausbildung und mechanische Qualität dieser Gewebe ist dabei nicht vorhersehbar; die klinische Prognose ist damit sehr unsicher.

Als indirekte Methoden haben sich gelenknahe Umstellungs- und Korrekturosteotomien in der Behandlung von Knorpelschäden bewährt, und können besonders bei assoziierten Fehlstellungen oft sinnvoll kombiniert werden.

Andere Methoden, wie die Implantation von autologen osteochondralen Transplantaten, erbrachte teilweise gute Ergebnisse. L. Hangody und V. Bobics berichten über die Technik der Mosaikplastik, wo aus Randzonen des Kniegelenkes osteochondrale Zylinder entnommen werden und im Pressfit-Verfahren in die Defektzone transplantiert werden. Mittelfristige Ergebnisse zeigen Erfolgsraten bis zu über 90 Prozent. Probleme mit der Entnahmestelle werden nur in 5 Prozent angegeben, wobei hier langfristige Studien abzuwarten sind.

Die enzymatische Isolierung und Kultivierung von Chondrocyten ex vivo ermöglichte die Entwicklung von neuen Implantationsverfahren zur Behandlung von Defekten der Gelenkfläche. Eine schwedischen Arbeitsgruppe berichtete über eine signifikante klinische Verbesserung nach autologer Knorpelzellimplantation bei einem relativ kleinen Patientenkollektiv (1994, New England Journal of Medicine). Die Kontrollbiopsien nach einem Jahr zeigten Einheilung des Periostlappens unter Umwandlung in widerstandsfähiges knorpelartiges Gewebe. Die Ergebnisse differierten aber nach der Lokalisation des Defektes: Patella und Tibiadefekte zeigten ein deutlich schlechteres Ergebnis als Femurdefekte. Zur Zeit wird eine kontrollierte, klinische Multi-Center Studie unter Einbeziehung von arthroskopischen Biopsien des regenerierten Gewebes durchgeführt, um die Effizienz dieser Methode zu sichern. Inzwischen wurden weltweit mehr als 8000 Patienten mit dieser Methode operiert, wobei die mittelfristige Erfolgsrate für isolierte Defekte am Femurkondyl zwischen 85 und 92 Prozent liegt (Cartilage Registry 2003).

In der Praxis werden dem Patient arthroskopisch mit einem Ringkürette kleine Knorpelstücke aus nicht gewichtsbelasteten Arealen der Gelenkfläche des betroffenen Gelenkes steril entnommen. Die Biopsie wird in einem Spezialcontainer an das Zellkulturlabor geschickt, wo innerhalb von 48 Stunden die Aufbereitung der Knorpelzellen beginnen muss. Die Chondrocyten (ungefähr 400.000) werden enzymatisch isoliert und in Zellkultur expandiert. Zum Zeitpunkt der Implantation wird eine Zellsuspension mit etwa 12 Millionen Zellen geliefert und in den präparierten Knorpeldefekt eingebracht, der mit einem eingenähten Periostlappen wasserdicht abgedeckt ist. Das Periost wird über eine kleine Hautinzision an der vorderen Tibiakante in entsprechender Größe entnommen. Um eine optimale Fixierung des Lappens zu erreichen, wird der Korpeldefekt mit dem Skalpell umschnitten und das vorhandene Narbengewebe bis auf die subchondrale Lamelle vollständig entfernt, wobei Blutungen vermieden werden müssen. Die Ränder des Periosteums werden mit der Zirkumferenz des Defektes mit resorbierbarem Nahtmaterial vernäht und mit Fibrin wasserdicht versiegelt. Postoperativ erfolgt eine Rehabilitation mit Motorschiene und dreimonatiger Entlastung des Gelenkes.

Die Methode ist durch die beschränkte Verfügbarkeit von Knorpelgewebe zur Kultivierung, die Limitierung der Größe des Periostlappens und die Notwendigkeit einer Arthrotomie eingeschränkt. Die Fixation des Periostlappens und die Herstellung eines wasserdichten Kompartments ist problematisch und bedarf einiger Übung. Delamination des Periostlappens und Überwuchern des Defektes mit Narbengewebe sind die häufigsten Probleme die zu Reoperationen führen.

Die Weiterentwicklung der autologen Knorpelzelltransplantation stellen die matrixassistierten Verfahren dar, wobei unter Verwendung eines Biomaterials die Zellen in den Defekt transplantiert werden. Aus den vielen experimentellen Ansätzen konnten das Kollagenvlies sowie die Hyaluronatmatrix bis zur klinischen Anwendung gebracht werden. Hier werden die Knorpelzellen wie vorher beschrieben isoliert und vermehrt und dann mit dem Biomaterial in den Defekt eingebracht. Die verwendeten Matrices müssen den Knorpelzellen eine biologisch günstige Umgebung schaffen und die Regeneration von Knorpelgewebe erlauben. Die Kollagenmatrix (Chondrogide®) wird auf den Defekt aufgenäht und dient somit als stabiler Periostersatz, das Hyaluronsäurevlies (Hyalograft C ®) kann in den Defekt geklebt werden, was chirurgisch wesentlich einfacher ist, kleiner Zugänge erlaubt und damit auch die arthroskopische Implantation ermöglicht. Kritisch ist hier sicher die stabile Verankerung des Grafts zu sehen, wobei der Fibrinkleber am Rand des Defektes die zellaugmentierte Matrix sichert.

An der Orthopädischen Universitätsklink in Wien konnten in den letzten zwei Jahren bereits über 30 Patienten mit dem Hyaluronatvlies behandelt werden. Die ersten Ergebnisse zeigen in der klassischen Indikation des isolierten Femurdefektes vergleichbare Ergebnisse; ähnliches wird auch vom Kollagenvlies berichtet (M. Steinwachs, 2003). Kollagengel und Polylaktide stehen erst am Anfang der klinischen Erprobung und müssen sich erst bewähren. Kritisch ist sicher zu sehen, dass uns von keinem dieser Matrixtechniken langfristige Daten vorliegen, so dass vor einer Routineanwendung noch abzusehen ist, und die Techniken ausschließlich in kontrollierten Studien verwendet werden sollten. Langfristige Studien werden erst zeigen, ob auf das Periost verzichtet werden kann und welches Transportmediums für die Zellenoptimal ist. Weiterhin sind die Arthrose oder schwere Gelenkdeformationen derzeit sicher keine Indikation für solche Verfahren.

Sorgsame kritische und kontrollierte Anwendung wird eher dazu beitragen, die Methoden weiterzuentwickeln als überzogenen Indikationen und unerfüllbare Erwartungen von Patienten. Insgesamt erscheinen die neuen Methoden des Tissue Engineerings neue Wege in der Behandlung von Knorpeldefekten zu eröffnen. Die Medizin ist der Antwort auf die Frage des nicht heilenden Gelenkdefektes näher gekommen.

Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer, 25. März 2004

Univ. Prof. Dr. Stefan Nehrer
Universitätsklinik für Orthopädie
Universität Wien, AKH
Währingergürtel 18-20, A 1090 Wien
Tel, Fax 40400-4058, email: stefan.nehrer@akh-wien.ac.at

Stefan Nehrer ist Teamleiter der Sportorthopädie an der Orthopädischen Universitätsklinik in Wien. Seit zehn Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema der Knorpelregeneration durch Zelltransplantation und Biomaterialien. Im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der Harvard Medical School konnte er in Zusammenarbeit mit Prof. Myron Spector und Dr. Tom Minas sowohl wissenschaftliche als auch klinische Erfahrungen mit diesen Methoden sammeln. Seit seiner Habilitation 1999 leitet er eine Gruppe, die sich mit Tissue Engineering im weiteren Sinne befasst, wobei sowohl Projekte über Meniskusregeneration als auch Stammzellenforschung durchgeführt werden. Die Teilnahme an zwei EU-geförderten Projekten und die Mitwirkung an Kursen der American Academy of Orthopedic Surgeons zeigen die positive Entwicklung dieser Gruppierung. Als Vorstandsmitglied der Cartilage Repair Society und der Gesellschaft für Orthopädie leitet er den Arbeitskreis für Biotechnologie und Tissue Engineering (Biotek) und war zuletzt als Repräsentant Österreichs in der EU-Kommission zur Regulation von Tissue Engineering in Brüssel. Professor Nehrer ist derzeit als Vizepräsident der GOTS Österreich im Vorstand der GOTS tätig.

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