Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Biathlon: Laufen, Schwitzen, Schießen und “Ehrenrunden” im Schnee

Vom 08 -19.Februar 2023 findet die Biathlon-Weltmeisterschaft im thüringischen Oberhof statt. Es werden bei Frauen und Männern in 7 Disziplinen (Sprint, Verfolgung, Einzel, Massenstart, Staffel, Mixed-Staffel und Single Mixed) Medaillen vergeben.

Biathlon

Der olympische Biathlonsport setzt sich aus zwei Sportarten, dem Skilanglauf und Kleinkalibergewehrschießen, zusammen. Hervorgehend aus dem militärischen Skipatrouillenlauf, in dem bereits 1924 bei den Olympischen Spielen Wettkämpfe ausgetragen wurden, hat sich die Sportart stetig weiterentwickelt. Die erste Weltmeisterschaft im Biathlon wurde 1958 in Saalfelden (Österreich) ausgetragen. Zuvor gab es bereits seit 1930 Weltmeisterschaften im Rahmen von Militärweltmeisterschaften.

Nach Anerkennung als offizielle Sportart durch das IOC im Jahre 1954 konnte sich Biathlon zu einer mittlerweile weltweit bekannten und medial sehr beachteten Sportart entwickeln. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Vielfalt der durchgeführten Wettkampfformen enorm weiterentwickelt. Während bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts vorrangig Einzelwettkämpfe mit Streckenlängen von 20 bzw. 10km (Männer) und 15 bzw. 7,5km (Frauen) und Staffelwettkämpfe durchgeführt wurden, hat die Einführung von Massenstart-, Verfolgungs- und Mixed-Staffelwettkämpfen, das Spektrum der durchgeführten Wettbewerbe erheblich erweitert und die Sportart wurde dadurch medial deutlich präsenter. Während die klassischen Wintersportnationen Skandinaviens und Europas einen Großteil der erfolgreichen Athletinnen und Athleten stellen, nehmen mitunter bis zu 30 verschiedene Nationen fast aller Kontinente an internationalen Wettkämpfen teil.

Die Sportart kann heutzutage, nicht zuletzt durch die Einführung der neuen Wettkampfformen, als Mitteldistanzausdauersportart betrachtet werden, die im Laufbereich aufgrund des Streckenprofils und der „Schießpausen“ durch ständige Intensitätswechsel gekennzeichnet ist.

Das Training eines Hochleistungsathleten ist aufgrund der Wettkampfanforderungen durch einen hohen zeitlichen Aufwand im Ausdauertrainingsbereich gekennzeichnet, wobei ein zusätzlich hoher Aufwand in die Ausbildung der Schießfertigkeiten gelegt werden muss. Spitzenathleten trainieren pro Jahr ca. 900 reine Belastungsstunden zuzüglich der Trainingszeit beim Schießen.

Die fortwährende Optimierung der trainingswissenschaftlichen Begleitung und des eingesetzten Materials (vorrangig durch Weiterentwicklung der Skipräparation) hat zu einem stetigen Anstieg der durchschnittlichen Wettkampflaufgeschwindigkeit geführt. Die wesentlich größere Fortentwicklung der Leistungsfähigkeit eines Spitzenbiathleten hat sich jedoch in den letzten Jahren hinsichtlich der Schießzeit für die abzugebenden 5 Schuss pro Schießeinheit vollzogen. Während noch zu Beginn des Jahrtausends Schießzeiten von 35 Sekunden für 5 Schuss (inklusive Vorbereitungszeit beim Betreten des Schiesstandes) als gut galten, schaffen Spitzenathleten heutzutage Schiesszeiten von 16-17 Sekunden für 5 Schuss bei fehlerfreiem Schießergebnis.

 

Akute sportartspezifische Verletzungen

Biathlon ist im Bezug zu anderen Sportarten als relativ verletzungsarm anzusehen. Zwar werden beim Skilanglauf in den Abfahrten z.T. Geschwindigkeiten von bis zu 80km/h erzielt, jedoch verlaufen Stürze in der Regel ohne größere Verletzungsfolgen. Selten kommt es zu Prellungen, Schädelhirntraumen oder Frakturen.

Die naheliegende Assoziation in Bezug auf Schussverletzungen sind aufgrund eines strengen Regelwerks im Umgang mit den Waffen eine absolute Seltenheit. Dennoch kam es in der Vergangenheit zu einzelnen Unfällen mit z.T. letalem Verlauf.

Häufigere Verletzungen finden sich bei Biathleten im Rahmen des durchgeführten Trainings, bei dem neben den skilanglaufspezifischen Trainingsmittel Skiroller häufig auch das Rennrad oder Mountainbike eingesetzt wird. Die Verletzungsmuster entsprechen hier den radspezifischen Unfallmechanismen mit v.a. Clavicula-/Schulter- oder Oberarmverletzungen.

Stürze mit dem Skiroller, die auf speziellen asphaltierten Skirollertrainingsstätten stattfinden, führen zumeist zu mitunter großflächigen Hautabschürfungen und seltener zu höhergradigen knöchernen Verletzungsmustern. Das Verletzungsmuster ist dem des Inlineskatens vergleichbar.

 

Sportartspezifische Überlastungsbeschwerden

Im Spitzensportbereich zeigen sich häufig Überlastungs- und Fehlbelastungssymptome. Dabei stehen akute und chronische Muskeldystonien, Insertionstendinopathien, Tendinitiden und Tendovaginitiden im Vordergrund. Knochenhautreizungen vor allem der unteren Extremitäten beispielsweise durch Schuhprobleme oder muskuläre Fehlbelastung werden häufig beobachtet.

In Abhängigkeit von der Trainingsintensität und -akzentuierung ist neben der Technikkorrektur meist auch die ärztliche beziehungsweise physiotherapeutische Betreuung zur Behebung muskulärer Dysbalancen notwendig.

Insbesondere bei eisigen Streckenverhältnissen, bei denen eine vermehrte Stabilisierung des Skis durch Ausgleichsbewegungen der Muskulatur des Unterschenkels notwendig wird, kommt es bei einigen Athleten zum Auftreten von Shin-Splints oder zu einem funktionellen Kompartmentsyndrom des M. tibialis anterior. Die Therapie ist schwierig und beinhaltet neben umfänglicher physiotherapeutischer Maßnahmen die Veränderung der Schuh- und Bindungsposition, ggf. mit Materialwechsel die Analyse und Therapie von muskulären Dysbalancen und Haltungsschwächen der muskulären Kette von Fuß-Knie-Hüfte-Lendenwirbelsäule. Der operative Ansatz mit Faszienspaltung des M. tibialis anterior, muss als ultima ratio Therapie mit in Erwägung gezogen werden und wurde in den vergangenen Jahren vermehrt erfolgreich bei Spitzenathleten durchgeführt.

Durch die Entwicklung neuerer Schuh- und Bindungssysteme mit neueren, festeren Werkstoffen (meist Carbon), kommt es in jüngerer Zeit häufiger zu Reaktionen des Periosts, die durch eine hohe lokale Druckbelastung bedingt sind. Hier muss frühzeitig eingegriffen werden, um eine Chronifizierung der Beschwerden, die bis zu einer äußerst schmerzhaften ossären Kallusbildung gehen kann, vorzubeugen. Durch schuhorthopädische Korrekturen mit Reduktion des lokalen Drucks, ggf. auch Schuhmodelwechsel, lässt sich das Problem effektiv beheben. Im akuten Fall kann eine lokale Infiltrationstherapie notwendig sein.

Als ein sehr häufiges Beschwerdebild stellen sich aufgrund der beim Skilanglauf rezidivierend durchgeführten Beugebewegung des Oberkörpers Beschwerden im Bereich des lumbosakralen Übergangs dar. Dies wird im Biathlon dadurch zusätzlich begünstigt, da eine Beugung der Wirbelsäule im Bereich der Brustwirbel durch die insbesondere im Wettkampf durchgängig auf dem Rücken getragene Waffe stark minimiert wird. Zusätzlich ist der M. iliospoas, der einen erheblichen Anteil der Kraftenwicklung zur Beugung des Oberkörpers im Verlauf des Doppelstockschubs beim Skilanglauf erbringt, bei Biathleten in der Regel sehr stark entwickelt, sodass es häufig zu einem relativen Ungleichgewicht der LWS Beuge- und Streckmuskulatur kommt. In diesem Bereich ist eine präventive Stärkung der Rückenmuskulatur im täglichen Training unabdingbar.

Aus der alleinigen Anwendung der Skatingtechnik im Biathlon ergeben sich jedoch im Vergleich zum Skilanglauf zusätzlich häufiger Beschwerdebilder im Bereich der Brustwirbelsäule, da viele Athleten einen bevorzugten „Führarm“ in der Ausübung der Skatingtechnik haben. Dies führt über einen längeren Zeitraum zu z.T. erheblichen muskulären Seitendifferenzen, die Beschwerden im Bereich der autochtonen Muskulatur der BWS nach sich ziehen. Hier muss zum einen im allgemeinen Ergänzungstraining auf ein konsequentes Beheben von muskulären Dysbalancen geachtet werden. Ebenso muss der Athlet im sportartspezifischen Training einen häufigen Wechsel der Führhand unter Betonung der schwächeren Führarmseite einhalten.

 

Internistische Erkrankungen

Sportartspezifisch kommt es zu einer ausgeprägten Exposition mit kalter und sehr kalter Luft in der winterlichen Umgebung. Bei der gleichzeitig belastungsbedingt hohen Ventilationsrate, besteht in der leistungssportlichen Ausübung des Biathlonsports, ein großes Risiko der Reizung der Schleimhaut der oberen Atemwege. Dies führt bei Biathleten gehäuft zu entzündlichen Veränderungen der Schleimhaut im Bereich des Nasen-Rachenraumes, des Kehlkopfes und der oberen Luftwege.

Klinische Symptome von Erkältungskrankheiten wie Husten, Halsbeschwerden, Schnupfen und Nasennebenhöhlenbeschwerden stellen die häufigste Ursache der ärztlichen Konsultation im Biathlon dar. Zur effektiven Vorsorge ist daher eine sehr gute und umfangreiche Verhaltensschulung der Athleten wichtig.

Die im Rahmen der Coronainfektionswellen propagierten Hygienemaßnahmen, die in dieser Form bereits zuvor Teil der ärztlichen Athletenschulung war, ist nach wie vor der effektivste Schutz für Sportlerinnen und Sportler.

Die Therapie der in der Regel viral bedingten Erkrankungen ist im Wesentlichen symptomatisch orientiert. Bewährt hat sich auch hier der Einsatz von Nasenspüllösungen, Inhalationen, Lutschpastillen und Phytopharmaka. Medikamentös wird durch Einsatz von Vitamin C, Zink und lokal antiseptischen Lösungen eine günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes angestrebt.

Der Einsatz von antiviralen Präparaten ist im Allgemeinen nicht notwendig. Ebenso ist der Einsatz von Antibiotika aufgrund der in der Regel zugrundeliegenden viralen Infektionen eine eher seltene Behandlungsoption und bleibt in der Regel der Therapie einer bakteriellen Superinfektion vorbehalten.

 

Belastungsinduzierte Atembeschwerden

Die vermehrte Schleimhautreizung der Atemwege durch die häufige intensive Ventilation von kalter und sehr kalter, sowie auch trockener Luft führt bei nordischen Skisportlern häufiger zu belastungsbedingten Atembeschweren im Sinne eines hyperreagiblen Bronchialsystems, („exercise induced bronchospasm“ – EIB).

Bei Vorliegen eines EIB ist eine frühzeitige antiinflammatorische Therapie mit inhalativen Glukokortikosteroiden angezeigt um eine Progredienz der Erkrankung zu vermeiden. Symptomatisch kann diese zudem mit einem ß2-Mimetikum kombiniert werden, welche z.B. auch als kurzwirksame ß2-Mimetika unmittelbar vor intensiven Belastungen zur Prophylaxe von Anfällen eingesetzt werden können. Der Einsatz von ß2-Mimetika bei Athleten ist prinzipiell durch die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden der WADA verboten, jedoch besteht eine Sonderregelung für die inhalative Anwendung von Salbutamol, Salmeterol, Vilanterol und Formoterol welche für die Behandlung eines EIB/Asthmas bis zu einer definierten Maximaldosierung zugelassen sind und nur im Falle von Anti-Doping-Kontrollen angegeben werden müssen. Inhalative Glukokortikosteroide müssen zwar ebenfalls bei Kontrollen angegeben werden, sind jedoch zur Therapie bei Athletinnen und Athleten mit Atemwegsbeschwerden prinzipiell erlaubt.

Ärztliche Betreuung von Biathleten

Aufgrund der hohen Professionalität der Sportart und dem damit assoziierten, relativ niedrigen Risiko für akute Verletzungen ist eine traumatologische Absicherung direkt vor Ort bei Biathlonwettkämpfen nur für die jeweilige Gesamtveranstaltung (Rennarzt) notwendig. Eine entscheidende Rolle im verbandsärztlichen Betreuungskonzept für den Biathlonsport spielt die interdisziplinäre Komponente. Neben dem betreuenden Mannschaftsarzt, muss ein gutes Netzwerk von konservativen Orthopäden, Internisten, chirurgisch erfahrenen Orthopäden und Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten vorgehalten werden. In der Vor-Ort-Betreuung bei Trainingslagern und Wettkampfmaßnahmen stellen Infekte des oberen Respirationstraktes bei weitem die häufigste Behandlungsindikation dar. Der Präventionsschulung und Anleitung der Sportler und Trainer im Rahmen der sportmedizinischen Eignungs- und Saisoneingangsuntersuchungen kommt ebenfalls eine besonders wichtige Bedeutung zu.

 

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DIE AUTOREN

Dr. med. Jan Wüstenfeld,

Ärztlicher Mitarbeiter, Fachbereich Sportmedizin, Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, Leipzig

Leitender Disziplinarzt der Deutschen Biathlon-Nationalmannschaft

 

 

 

 

 

Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth,

Ordinarius für Sportmedizin an der Humboldt-Universität zu Berlin

Leiter der Abteilung Sportmedizin der Charité Universitätsmedizin Berlin

Leiter Fachbereich Sportmedizin, Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, Leipzig.

Leitender Verbandsarzt des Deutschen Skiverbandes

Leitender Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes