Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Computerarbeit, schlechte Haltung, Stress – den Nackenschmerz an der Wurzel packen

Einleitung

Nackenschmerzen sind häufige Beschwerden in der Allgemeinbevölkerung mit einer Jahresprävalenz von 17-75% und treten auch oftmals bei Sportler*innen auf (Life time Prävalenz im Sport 39-42%). Der Sport kann dabei aufgrund einer sportartspezifischen Adaptierung und Überlastung der Halswirbelsäule (HWS) Auslöser für die Nackenbeschwerden sein. Als allgemeine Risikofaktoren für Nackenschmerzen werden unter anderem das weibliche Geschlecht, wenig Bewegung, geringes Einkommen, hoher BMI, lange Computerarbeit, schlechte Haltung und Stress angeführt. Beim Sport wird vor allem ein langes Verharren in einer HWS-Reklination (z.B. beim Radfahren) als Auslöser angegeben. Dieser kurze Artikel über Nackenbeschwerden im Sport beinhaltet funktionelle und degenerative Erkrankungen der mittleren und unteren HWS und geht nicht auf traumatische Verletzungen der HWS oder Beschwerden der oberen HWS (mit Tinnitus, ungerichtetem Schwindel und etwaigen Kiefergelenksbeschwerden) ein. Das Ziel des Artikels ist u.a. über die Darstellung der Risikofaktoren und Hintergründe Hinweise auf präventive Maßnahmen im Sport zu geben und damit die Betreuung unserer Sportler*innen zu verbessern.

 

Die häufigsten Beschwerdebilder und Diagnosen

Häufige Diagnosen sind das Cervicalsyndrom (CVS; lokaler Schmerz im Bereich Nacken-Schultergürtel) und die Cervicobrachialgie (Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in die obere Extremität). Mit diesen Diagnosen werden jedoch lediglich die Lokalisation der Schmerzen und nicht die Ursache der Beschwerden beschrieben. Hinter dem CVS stecken oft funktionelle Probleme wie Blockierungen, Instabilitäten, Triggerpunkte, muskuläre Dysbalancen oder auch Veränderungen im Bereich der Faszien und Ligamente. Im Bereich der mittleren und unteren HWS treten vorwiegend folgende segmentale Störungen auf: Instabilitäten C3-6 und eine Mischung aus Blockierungen und Instabilitäten im cervicothorakalen Übergang (C7-Th3). Die Cervicobrachialgie kann neben myofaszialen Auslösern auch von strukturellen Veränderungen wie einem Discusprolaps oder einer Neuroforamenstenose (diskogen, ossär oder durch beides bedingt) in der HWS ausgelöst werden.

Differentialdiagnostisch muss an eine benachbarte Schulterproblematik, eine Plexusneuritis, an ein Nervenengpasssyndrom (wie ein Karpaltunnelsyndrom, eine ulnare Neuropathie oder ein Thoracic outlet Syndrom), eine Polymyalgia rheumatica oder auch an Erkrankungen der Gallenblase, des Magen und der Lunge (Pancoast-Tumor) gedacht werden. Weiters müssen schwerwiegende Erkrankungen bzw. Verletzungen wie Frakturen nach Trauma, Tumore, Spondylodiscitiden, eine rheumatoide Arthritis (C1/2!) oder eine Syringomyelie ausgeschlossen werden.

 

Ursachen für die Nackenbeschwerden

Als mögliche Auslöser kommen Fehlhaltungen mit Verspannungen oder auch repetitive Belastungen der HWS in Betracht. Ab dem 30. Lebensjahr kommt es zu einem Flüssigkeitsverlust der Bandscheibe und damit zu degenerativen Veränderungen in der Bandscheibe und einer Verschmälerung des Zwischenwirbelraums. Dies kann dann weiters zu einer Überbelastung der Facettengelenke mit entsprechenden degenerativen Veränderungen und damit zu Einengungen der Neuroforamina oder auch des Spinalkanals führen. Durch einseitige statische Belastungen und stereotype Bewegungen (z.B. am Schreibtisch, Computer oder auch im Sport) können diese Fehlhaltungen der Wirbelsäule und damit Fehlbelastungen der kleinen Wirbelgelenke auftreten. Muskuläre Dysbalancen mit Verkürzungen (z.B. M. levator scapulae, M. sternocleidomastoideus, Mm. scaleni, M. erector spinae und M. pectoralis minor) und Abschwächungen (z.B. der tiefen Halsflexoren und der interscapulären Muskulatur) ergänzen dieses Bild. Diese muskulären Veränderungen werden auch als oberes gekreuztes Syndrom nach Janda bezeichnet.

Natürlich können auch Unfälle mit Verletzung der HWS (Fraktur, Discusprolaps, …) und Schleudertraumata, sowie entzündliche Veränderungen und Tumore ursächlich für Nackenbeschwerden sein. Ebenso sollte die Psyche nicht außer Acht gelassen werden, da gerade die Nackenmuskulatur zu den typischen „Stressmuskeln“ gezählt wird und Stress als ein möglicher Risikofaktor für Nackenbeschwerden genannt wird.

 

Diagnostik

Anamnese

Um zu einer Verdachtsdiagnose zu kommen sind oft einfache Fragen hinsichtlich des Schmerzes, wie der Schmerzcharakter (eher brennend-elektrisierend-einschießend oder mehr drückend-ziehend-stechend), bei welcher Bewegung der Schmerz auftritt und was gegen den Schmerz hilft (Wärme, Kälte, Bewegung), zielführend. Im Rahmen der Anamnese sollten natürlich auch red flags als Hinweis für schwerwiegende Erkrankungen abgefragt werden. Bei Sportler*innen ist zusätzlich eine genaue Sportanamnese hinsichtlich der Sportart, der Technik, der Intensität, des Ausgleichssports und möglicher Hilfsmittel zu erheben. Beim klinisch relevanten Discusprolaps ist in der Anamnese meist ein subjektives Kraft- oder Sensibilitätsdefizit auffällig, sowie eine Schmerzausstrahlung im Dermatom bzw. auch zwischen den Schulterblättern vorhanden. In der Anamnese ist auch immer die Frage nach Beschwerden hinsichtlich der Gallenblase, des Magens und der Lunge (Pancoast-Tumor) wichtig, da Erkrankungen aus diesen Bereichen zu Beschwerden im Nacken- und Schultergürtel führen können.

 

Klinische Untersuchung

Der Status beinhaltet die Inspektion (z.B. Beurteilung der Haltung), die Palpation, die allgemeine Funktionsuntersuchung sowie die neurologische Untersuchung.

Die funktionellen Ursachen findet man in der klinischen Untersuchung. Diese sind in der Bildgebung nur selten darstellbar (ev. die Instabilität C1/2 in der Funktionsaufnahme). Die klinische Funktionsuntersuchung sollte von der globalen Range-of-motion Beurteilung (Kinn-Jugulum-Abstand, Reklination, Rotation, Seitneigung) über die regionale Untersuchung der oberen, mittleren und unteren HWS (Rotation in Inklination, in Neutralstellung und in Reklination) zur segmentalen Untersuchung der HWS übergehen. Der Spurlingtest und die neurologische Untersuchung können Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik geben. Weiters sollte nach Triggerpunkten und muskulären Dysbalancen gesucht werden. Die Beurteilung der faszialen Strukturen sowie der ersten Rippe, der Brustwirbelsäule (BWS), der Kopfgelenke, des Kiefergelenkes sowie der Schulter sollte ebenso Bestandteil der Untersuchung sein. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung sollte auch auf Hinweise in Richtung eines Nervenengpasssyndroms wie dem Karpaltunnelsyndrom, einer ulnaren Neuropathie oder auch einem Thoracic outlet Syndrom geachtet werden.

 

Die detaillierte klinische Untersuchung führt gemeinsam mit der Anamnese zu einer Verdachtsdiagnose, welche bei Bedarf (z.B. ein objektivierbares neurologisches Defizit) durch zusätzliche apparative Diagnostik (v.a. Röntgen und MRT sowie Elektrophysiologie) oder Laboruntersuchung bestätigt werden kann.

 

Bildgebung, Elektrophysiologie und Labor

Im Rahmen der bildgebenden Diagnostik wird je nach Fragestellung zumeist ein konventionelles Röntgen der HWS in 2 Ebenen (ev. mit Funktionsaufnahmen und Dens-Zielaufnahmen) und/oder eine Magnet-Resonanz-Tomographie der HWS durchgeführt. Bei klinischem Hinweis auf ein Nervenengpasssyndrom wird eine elektrophysiologische Untersuchung (Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie) sowie ein Nervenultraschall eingeleitet. In seltenen Fällen wird eine CT oder Szintigraphie angewendet.

 

Bei klinischem Hinweis auf eine rheumatologische Erkrankung (cave: Instabilität C1/2) oder eine Infektion sollte die Diagnostik durch eine Blutabnahme mit Erhebung der Entzündungswerte und Rheuma-Parameter ergänzt werden.

 

Tests und Fragebögen

Als funktionelle Tests sind der Craniocervical Flexion Test und der Neck Flexor Endurance Test zu erwähnen. Als Fragebögen sind v.a. die deutsche Version des Neck Disability Index (NDI) und die Patientenspezifischen Funktionsskala (PSFS) im Einsatz.

 

Behandlung

Die Therapie beinhaltet je nach Diagnose und Akuität neben der Aufklärung des Sportlers/der Sportlerin, zumeist eine Schmerzmedikation und physikalische Therapiemaßnahmen. In seltenen Fällen ist eine Sportpause, Ruhigstellung mit Orthese oder eine Operation nötig. Bei wiederkehrenden Nackenbeschwerden ist es besonders wichtig auf mögliche Auslöser und Risikofaktoren einzugehen um damit präventiv zu arbeiten.

 

Im Detail erfolgt bei funktionellen Beschwerden zumeist eine manualmedizinische Behandlung und Empfehlungen für zu Hause (lokale Wärme, Übungen zur Selbstmobilisierung und bei Bedarf Schmerzmedikamente). Bei starken Schmerzen kann dieser Therapieansatz durch lokale Maßnahmen wie Infiltrationen, dry needeling, Massagen, Elektrotherapie oder auch Stoßwellenbehandlung ergänzt werden. Ebenso sollte man im Rahmen der ärztlichen Untersuchung eine ergonomische Beratung (Arbeitsplatzgestaltung und Sportausübung) einbauen und etwaig nötige Heilbehelfe und Hilfsmittel (Sitzkeil, höhenverstellbarer Tisch, Stehpult, …) verordnen. Bei der Sportausübung sollten mögliche Technikfehler und Hilfsmittel (z.B. Prismenbrille beim Klettern) abgeklärt bzw. besprochen werden. Als Basis der nachfolgenden therapeutischen Behandlung erfolgt zumeist eine Physiotherapie – anfangs mit dem Schwerpunkt Schmerzbehandlung, im Verlauf mit dem Ziel der Funktionsverbesserung bis hin zur sportartspezifischen Rehabilitation. Im Rahmen der Physiotherapie sollte unter anderem an den meist vorhandenen muskulären Dysbalancen und Stabilitätsdefiziten gearbeitet werden (z.B. Kräftigung der tiefen Halsflexoren). Das Erlernen und vor allem die regelmäßige Durchführung eines Heimübungsprogrammes ist entscheidend in der Sekundärprävention um Rezidive zu vermeiden. Als eine weitere Therapieoption sollte das Biofeedback nicht unerwähnt bleiben, welches vor allem bei zusätzlichem „psychogenen“ Trigger eine gute Ergänzung sein kann. Die sportartspezifische Rehabilitation kann dann von der Therapie überlappend ins Training übergehen, weshalb eine gute Zusammenarbeit mit Sportwissenschafter*innen und Trainer*innen (Technik, Trainingsplan, …) entscheidend ist.

 

Präventive Maßnahmen anhand von einigen Sportbeispielen

 

6 praktische Tipps gegen wiederkehrende Nackenschmerzen im Sport

 

Abschließend ist anzumerken, dass Sport präventiv – Bewegungsarmut als Risikofaktor für Nackenbeschwerden – und zur Behandlung von Nackenschmerzen eingesetzt werden (vorhandene Studien über Yoga und Pilates bei CVS) kann und sollte.


DIE AUTORIN

Prim. Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Karin Pieber ist Leiterin im Klinischen Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Universitätsklinikum St. Pölten – Lilienfeld (Österreich). Ihr klinischer Schwerpunkt ist die Wirbelsäule im Sport. Sie betreut SportlerInnen in Sportarten wie Triathlon, unterschiedlichen Ball- und Kampfsportarten, Schifahren und Klettern. Zusätzlich ist sie Kursleiterin bei den Manuellen Medizin Kursen in Wien und u.a. Vortragende an der Donau-Universität Krems und der FH Campus Wien.