Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Die Crux mit dem Kreuz-Darmbeingelenk

©iStock / Jan-Otto

 

Einleitung

15-30% der Kreuzschmerzen werden auf das Iliosakralgelenk (ISG) zurückgeführt. Als Auslöser wird oftmals ein Sturz, eine plötzliche Bewegung, das Heben von schweren Dingen oder ein „falscher“ Schritt bzw. „Schritt ins Leere“ in der Anamnese angegeben. Begünstigend können sich Beinlängendifferenzen oder auch Fehlstellungen in der Wirbelsäule auswirken. ISG-Beschwerden treten durch Gewichtzunahme und hormonell bedingte Lockerung der Bänder in der Schwangerschaft vermehrt auf.

Allgemein beschrieben ist das ISG eine Amphiarthrose mit einer großen Gelenksoberfläche und Inkongruenzen. Die Bewegung im ISG wird Nutation genannt. Diese ist mit einer Rotation von 4° und einer Translation von 1,6 mm minimal, wobei die Beweglichkeit eine große Varianz aufweist. Die Stabilität wird neben der Architektur der Gelenksflächen durch einen stark ausgeprägten Kapsel-Bandapparat und myofasziale Strukturen wie die thorakolumbale Faszie unterstützt. Das Gelenk kann nicht aktiv durch Muskeln bewegt werden.

 

Die häufigsten Beschwerdebilder und Diagnosen

Die ISG-Beschwerden bzw. Dysfunktionen kann man grob in Hypermobilität und Blockierung aufteilen. Oftmals setzt sich auf ein hypermobiles Gelenk eine Blockierung. Zur Differenzierung dieser Dysfunktionen kann die Joint-Play Bestimmung des Gelenkes herangezogen werden. Zu den Differentialdiagnosen zählen u.a. Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, der Hüfte und Adduktorenverkürzung. Bei jüngeren v.a. männlichen Sportlern sollte bei entsprechender Anamnese auch an den M. Bechterew gedacht werden. Bei Frauen sollte auch eine Dysmenorrhoe im Sinne eines vegetativen Schmerzes überlegt werden.

 

Diagnostik

Anamnese

SportlerInnen mit ISG-Beschwerden geben meist einen tiefsitzenden einseitigen Kreuzschmerz im Bereich des ISGs an, teilweise auch eine Ausstrahlung in die Leiste oder in den dorsalen Oberschenkel. Oftmals ist eine allgemeine Überbeweglichkeit bekannt. Bei der ausgeübten Sportart wird oft der Berglauf oder auch Laufen im Sand genannt. In der Schwangerschaft kommt es aufgrund der hormonellen Umstellungen zu vermehrten ISG-Beschwerden. Oftmals werden auch Beschwerden beim Sitzen und Treppensteigen angegeben.

 

Klinische Untersuchung

Der Status beinhaltet die Inspektion (z.B. Beurteilung der Haltung), die Palpation, die allgemeine Funktionsuntersuchung sowie die neurologische Untersuchung. Bei der Inspektion sind z.B. Fehlhaltung, Beckenverwringungen oder Beinlängendifferenzen zu beobachten. Bei der Palpation sollte eine Struktur- als auch Schmerzpalpation erfolgen. Der lokale Druckschmerz am ISG (v.a. Bänder) sowie Triggerpunkte und Verkürzungen in der umgebenden Muskulatur (z.B. M. iliacus, M. psoas, M. piriformis, M. gluteus maximus, ischiokrurale Muskulatur) helfen bei der Diagnosefindung. Die klinische Funktionsuntersuchung sollte eine globale Range-of-motion Beurteilung (Fingerbodenabstand, Reklination und Seitneigung in der LWS), den Spinetest, den Vorlauftest und Testungen hinsichtlich einer funktionellen Beinlängendifferenz beinhalten. Spezielle Tests, die u.a. auf eine Dysfunktion des ISGs hinweisen, sind das Patrickzeichen (Vierertest), die 2. Phase des 3-Phasen-Tests, der Federungs- und Rütteltest des ISGs, oder auch der translatorische Gleittest am ISG. Zusätzliche Provokationstests wären der Distraktionstest, der Kompressionstest, der Gaenslen Test, der Thigh thrust Test und der Sacral thrust Test. Wichtig dabei ist immer mehrere Tests durchzuführen, da keine Einzeluntersuchung absolut zuverlässig ist. Eine Studie zeigte, dass bei drei oder mehr positiven Provokationstests für das ISG die Wahrscheinlichkeit bei 77% liegt, dass das ISG der Auslöser für die Schmerzsymptomatik ist. Weiters sollte nach muskulären Dysbalancen und Funktionsstörungen im thorakolumbalen Übergangsbereich gesucht werden. Die Beurteilung der faszialen Strukturen sollte ebenso Bestandteil der Untersuchung sein. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung sollte auch auf Hinweise in Richtung eines Discusprolapses geachtet werden. Bei Unsicherheit in der Diagnosefindung kann eine Probeinfiltration helfen. Meist ist dabei eine Infiltration der posterioren Bänder ausreichend und keine intraartikuläre US-unterstützte Infiltration notwendig.

 

Bildgebung und Labor

Es ist nicht möglich eine Blockade oder Hypermobilität im ISG mittels bildgebender Verfahren wie z.B. einem konventionellen Röntgen oder einer Magnetresonanztomographie festzustellen. Diese Untersuchungen (inklusive Computertomographie) können jedoch zum Auffinden etwaiger Differentialdiagnosen beitragen.

 

Bei klinischem Hinweis auf eine rheumatologische Erkrankung (z.B. M. Bechterew) sollte die Diagnostik durch eine Blutabnahme mit Erhebung der Entzündungswerte und Rheuma-Parameter ergänzt werden.

©Karin Pieber

Behandlung

Die Beschwerden sind insgesamt gut behandelbar. Die Therapie beinhaltet je nach Diagnose und Akuität neben der Aufklärung des Sportlers/der Sportlerin, zumeist eine orale Schmerzmedikation und physikalische Therapiemaßnahmen. In seltenen Fällen ist eine Sportpause nötig.

Im Detail erfolgt bei funktionellen Beschwerden zumeist eine manualmedizinische Behandlung und Empfehlungen für zu Hause (Übungen zur Selbstmobilisierung und bei Bedarf Schmerzmedikamente). Bei starken Schmerzen kann dieser Therapieansatz durch lokale Maßnahmen wie Infiltrationen, dry needling, Massagen, Elektrotherapie oder auch Stoßwellenbehandlung ergänzt werden.

Als Basis der nachfolgenden therapeutischen Behandlung erfolgt zumeist eine Physiotherapie – anfangs mit dem Schwerpunkt Schmerzbehandlung. Im Rahmen dieser Therapie wird unter anderem an den meist vorhandenen muskulären Dysbalancen und Stabilitätsdefiziten gearbeitet werden. Das Erlernen und vor allem die regelmäßige Durchführung eines Heimübungsprogrammes ist entscheidend in der Sekundärprävention um Rezidive zu vermeiden. Der Schwerpunkt hierbei liegt bei stabilisierenden Übungen und Muskelaufbau im Rahmen der Medizinischen Trainingstherapie.

Behandlungsansätze wie die Radiofrequenztherapie zeigten bisher in Studien eine begrenzte Wirksamkeit. Bei ausgeprägter Hypermobilität im ISG (z.B. in der Schwangerschaft) sind beckenstabilisierende Gurte hilfreich, alternativ kann auch die Sklerosetherapie eingesetzt werden.

Wichtiger Hinweis: Das hypermobile (überbewegliche) ISG bereitet weitaus öfter Schmerzen, als das hypomobile (blockierte) ISG.

 

Fazit:


DIE AUTORIN

Prim. Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Karin Pieber ist Leiterin am Klinischen Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation und Interimistische Ärztliche Direktorin
am Universitätsklinikum St. Pölten – Lilienfeld (Österreich)