Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Eiskunstlauf

Sehr geehrte Damen und Herren,

Eiskunstlauf ist eine Sportart, die in besonderer Weise Ästhetik, Athletik, Mut und Kraft verbindet. Auf Anmut zur Musik gepaart mit Sprüngen und Pirouetten können sich die Zuschauer auch bei den kommenden Weltmeisterschaften in Boston freuen, die am 28. März beginnen. Bis zum 3. April kämpfen die Besten der Besten im Einzel der Frauen und Männer sowie im Paarlauf und Eistanz um die WM-Titel. In unserem aktuellen GOTS-Newsletter beschreibt Dr. Andreas Gösele-Koppenburg die Verletzungsgefahren des dynamischen Sports auf hartem Eis und erklärt, warum Helme und Protektoren eine nützliche Ergänzung wären und neben der Expertise des Orthopäden oder Sportarztes auch der Rat eines Psychologen gefragt sein kann


31. Jahreskongress der GOTS | 17. - 18. Juni 2016, Leonardo Royal Hotel, MünchenDie Registrierung für den 31. Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sprortmedizin (GOTS) vom 16. bis 18. Juni 2016 in München hat nun Online begonnen. Sichern Sie sich Ihren Platz in den Instruktionskursen und am Pre Day; die Plätze sind begrenzt. Die Anmeldung erfolgt auf der Kongress-Homepage (www.gots-kongress.org/registrierung). Online können Sie auch das wissenschaftliche Programm und die dazugehörigen Zeittafeln einsehen (www.gots-kongress.org/wissenschaftliches-programm).


Wir möchten Sie zudem auf zwei weitere Jahreskongresse hinweisen:

– der Kongress Technische Orthopädie findet vom 15. bis 17. April in Garmisch-Partenkirchen statt. (Flyer)
– die European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery and Arthroscopy (ESSKA) trifft sich vom 4. bis 7. Mai 2016 in Barcelona. (Flyer)

Die Einladungen und weitere Informationen finden Sie jeweils im Anhang dieses GOTS-Newsletters.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Bellinger, presse@gots.org

Risiken beim Eiskunstlauf: Sprünge, Stürze und hohe Belastung

Eiskunstlauf vereint Kunst und Ästhetik mit Kraft und Athletik in einzigartiger Weise. Neben den Einzel-Disziplinen der Männer und Frauen gibt es das Paarlaufen und den Eistanz. In den letzten Jahren kam es zu einer deutlichen Zunahme der technischen und athletischen Anforderungen, nicht zuletzt, weil Pflichtfiguren gestrichen wurden und die „freien Figuren“ seither im Vordergrund von Training und Wettkampf stehen.

Immer komplexere koordinative Sprünge, kreative Pirouetten und Varianten erfordern ein noch größeres Maß an Athletik und Bewegungskoordination, was sich im gesteigerten Trainingsaufwand widerspiegelt. Der Paarlauf kombiniert dabei die klassischen Elemente wie Sprünge, Sprungkombinationen, Pirouetten und Drehungen mit Hebefiguren und Würfen, wohingegen beim Eistanz der tänzerische Aspekt mit Interpretation der Musik neben den rein sportlichen Anforderungen im Vordergrund steht.

Synchronized Skating (SYS) ist eine Disziplin, die sich aus einem Team von 16 bis 20 Läuferinnen/Läufern zusammensetzt. Synchronisation und Präzision der Schritte, Sprünge, Pirouetten, Figuren und Bewegungen in wechselnden Formationen, künstlerischer Ausdruck als Interpretation der gewählten Musik und die Harmonie des Teams sind die wesentlichen Kriterien dieser Disziplin. Das relativ junge Synchroneislaufen ist vor allem in Nordamerika und Skandinavien sehr populär. Olympisch ist es allerdings nicht. Den Antrag, Synchronized Skating ins Programm der Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang aufzunehmen, hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) im vorigen Jahr abgelehnt.

Voraussetzungen
Wie kaum eine andere Sportart kombiniert Eiskunstlaufen die sportmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Kraft (welche Schnellkraft, Kraftausdauer und Maximalkraft umfasst) sowie Beweglichkeit, Artistik, Musik- und Rhythmusgefühl zu einem „motorischen“ Ganzen. Die steigenden technischen Anforderungen sind unter Berücksichtigung der genannten motorischen Größen nur mit einem schon im Kindesalter beginnenden und auf Langfristigkeit ausgelegten Training zu meistern. Elite-Eiskunstläufer trainieren im Schnitt bis zu acht Stunden pro Tag – und das an sechs Tagen die Woche. Die Saison dauert dabei zehn bis elf Monate im Jahr.

Bereits im Kindesalter ist ein Wochentraining von 10 bis 14 Stunden keine Seltenheit. Denn es gilt, die verschiedenen motorischen Fähigkeiten zunächst zu erlernen und später durch Repetition im Training zu vertiefen. Trotz großer Trainings- und Wettkampfbelastungen ist die Gesamtzahl der Verletzungen bezogen auf die Trainingsstunden dennoch als gering anzusehen. So beträgt die durchschnittliche Verletzungsinzidenz 1,4 Unfälle pro 1.000 Trainingsstunden.

Grundsätzlich werden akute von chronischen Verletzungen und Überlastungsschäden abgegrenzt. Die einzelnen Disziplinen unterscheiden sich in dieser Hinsicht maßgeblich voneinander. Während im Einzellaufen die Überlastungsschäden wie chronische Tendinopathien und Stressfrakturen im Vordergrund stehen, überwiegen sowohl im Paarlauf als auch im Eistanz die akuten Verletzungen durch Stürze und Kollisionen.

Überlastungsschäden
Überlastungsschäden scheinen im Nachwuchsbereich zuzunehmen. Im Vordergrund stehen im Wesentlichen die Stressfrakturen und Sehnenverletzungen im Sinne von klassischen Tendinosen, aber auch ansatz- und ursprungsnahe Pathologien wie Jumper’s Knee, Fasciitis plantaris (Entzündung an der Fußsohle) und im weitesten Sinne der Morbus Osgood-Schlatter (Reizung der Patellasehne) als Traktionsapophysitis des Streckapparates.

Während bei den chronischen Verletzungen und Überlastungsproblemen meist die unteren Extremitäten betroffen sind, sind bei den akuten Verletzungen praktisch sämtliche Körperregionen vertreten. Das Verletzungsspektrum reicht von Hautabschürfungen über Sprunggelenksdistorsionen bis hin zu Frakturen und Schädelverletzungen.

Psychophysische Erkrankungen
Neben den akuten und chronischen Verletzungen mit Überlastungsphänomenen des Bewegungsapparates spielen auch psychophysische Erkrankungen wie Ess- und Ernährungsstörungen, die „Female Athlete Triad“ (Essstörung, Amenorrhö und Osteoporose) eine wichtige und keinesfalls zu vernachlässigende Rolle. Aber es treten auch rein psychologische Problemkreise auf in der Wechselbeziehung und Einflussnahme zwischen Athlet, Trainern und Eltern.

Bei diesen komplexen Störungen, die vielfach eine sehr variable und auch vielgestaltige Ursache haben, ist das Zusammenwirken der einzelnen Personengruppen äußerst wichtig. Im Sinne der Primär- und Sekundärprävention ist dies entscheidend für den Erfolg im medizinischen und letztlich natürlich auch im sportlichen Bereich.

Akute Verletzungen
Die häufigsten akuten Verletzungen im Eiskunstlauf sind Distorsionen (bis 17 %). Es kommt zu Verletzungen der Supinations- und Pronationskette mit Kapselbandläsionen bis hin zu Frakturen. Häufig, wenngleich weniger als die Sprunggelenksverletzungen, sind Haut- und Kopfverletzungen sowie die akuten Knieverletzungen (3 bis 4 %) vertreten.

Chronische Verletzungen
Bei den chronischen Verletzungen überwiegen die Stressfrakturen mit einem Gesamtanteil von bis zu 20 %. Mehr als die Hälfte der Stressfrakturen betreffen den Fuß. Man findet sowohl Low-Risk-Fractures (LRF) als auch High-Risk-Fractures (HRF) sowie Kombinationen der beiden Frakturformen und Mehrfachlokalisationen. Die LRF (z.B. Metatarsale-Köpfchen) zeichnen sich durch einen in der Regel unkomplizierten Krankheitsverlauf mit kurzer Heilungsdauer (6 bis 8 Wochen) aus und können überwiegend konservativ behandelt werden.

Die HRF hingegen (z.B. Os naviculare pedis) zeigen einen protrahierten Heilungsverlauf (8 bis 16 Wochen), neigen zur Pseudoarthrosebildung und müssen häufig operiert werden Es scheinen weniger die repetitiven Belastungen oder Maximalbelastungen zu sein, sondern vielmehr die muskuläre Ermüdung und eine damit verbundene Reduktion der „Stress Protection“, welche als Ursache der Stressfrakturen der unteren Extremitäten in Frage kommen.

Neben den Stressfrakturen am Fuß ist vor allem die Tibia mit etwa 35 % der Verletzungen betroffen. Die restlichen Ermüdungsbrüche verteilen sich auf die Fibula und den Oberschenkel. Selten ist die Wirbelsäule betroffen.

Sehnenverletzungen
Neben den Stressfrakturen ist die häufigste chronische Verletzung der „vordere Knieschmerz“. Am häufigsten findet man die Ursprungstendinose des Ligamentum patellae (Jumper’s Knee) als Ausdruck einer chronischen, schmerzhaften Erkrankung des Streckapparates des Kniegelenkes. Ursache ist eine chronische Überlastung durch Sprünge, vorwiegend jedoch sind es Landungen mit massiven exzentrischen Belastungsspitzen und die Kombination von Überbelastung mit muskulären Dysbalancen und Störungen des Beuger-Strecker-Verhältnisses.

Intrinsische Faktoren (Q-Winkel, Patellaform und Patellaindex) sowie extrinsische Faktoren (Trainingsintensität, Umfang und Trainingsuntergrund) werden in die ätiologischen Diskussionen miteinbezogen. Varianten von reiner Entzündung mit vollständiger Kontinuität bis hin zu Teil- und Totalrupturen werden beobachtet. Dabei scheinen vielmehr degenerative als entzündliche Prozesse eine Rolle zu spielen – zumindest histologisch gesehen.

Verletzungen und Erkrankungen der Achillessehne sowie der Plantaraponeurose (maximal 4 %) spielen offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Ursache sind die Schuhe, die praktisch kein Drehmoment im oberen und unteren Sprunggelenk zulassen. Ansatznahe Sehnenerkrankungen wie Apophysenverletzungen hingegen sind häufiger, weil das Eiskunstlaufen bereits im kindlichen Alter mit großem (Trainings-)Umfang und großer Intensität betrieben wird. Die Apophysitis Morbus Osgood-Schlatter der Tuberositas tibiae tritt teilweise in bis zu 14 % der Fälle auf, wobei besonders Knaben und junge Männer von den Knieproblemen betroffen sind.

Bursitiden
Eine seltene, aber aufgrund der Einzigartigkeit äußerst interessante Erkrankung ist die Bursitis (Schleimbeutelentzündung) des Malleolus medialis. Chronischer Druck des Schuhs in Kombination mit einem ausladenden Malleolus medialis kann zur Ausbildung einer deutlich prominenten, teilweise asymptomatischen, teilweise auch entzündeten Bursa führen. Die Bursa dient dabei als Schutz und Verschiebeschicht und stellt primär keine Pathologie dar. Erst im Falle einer Entzündung erfolgt zunächst eine konservative Behandlung mit lokalen antiphlogistischen Maßnahmen, Weichpolsterung und teilweise auch Anpassung eines Maßschuhs. Nur selten wird ein operativer Eingriff notwendig.

Prävention
Akute Verletzungen im Eiskunstlauf lassen sich nur bedingt beeinflussen. Helme und Protektoren könnten mit großer Sicherheit eine Reduktion von Verletzungen bewirken. Da sie jedoch im Wettkampf aus ästhetischen Gründen nicht verwendet werden, muss ihre Akzeptanz von vorneherein in Frage gestellt werden. Im Training hingegen könnten ohne weiteres gewisse, an die Sportart adaptierte Protektoren wie beispielsweise beim Inline-Skating, eingesetzt werden und zur Reduktion von Verletzungen führen. Diese Methode wird bereits vereinzelt praktiziert.

Bei den chronischen Verletzungen und Überlastungsschäden scheinen vor allem die Vermeidung von muskulären Dysbalancen einerseits und Fehlverteilungen zwischen Agonist und Antagonist andererseits eine bedeutende Rolle zu spielen. Varianten der Trainingsgestaltung, alternative Trainingsreize in Kombination mit aktiven Erholungsmaßnahmen sollten gerade in solch trainingsintensiven Sportarten einen festen Platz finden. Nicht zuletzt können durch ein gezieltes muskuläres Aufbautraining, durch aktive Regenerationsmaßnahmen und durch eine Verbesserung der muskulären „Stress Protection“ Stressfrakturen reduziert werden.

Die Zusammenarbeit zwischen Trainer, Athlet und dem Sportmediziner und auch Psychologen ist gerade in einer gewichts- und figurbetonten Sportart wie dem Eiskunstlauf zur Prävention von Ess- und Ernährungsstörungen unabdingbar und spiegelt einmal mehr die Komplexität einzelner Verletzungen und Erkrankungen und somit auch deren komplexe Lösungsansätze wider.

Zusammenfassung
Insgesamt gesehen ist Eiskunstlaufen eine Sportart, die trotz intensiver körperlicher Belastung und einem großen zeitlichen Aufwand verschiedene motorische Eigenschaften bereits im Kinder- und Jugendalter fördert. Trotzdem kann das Verletzungsrisiko – gemessen an anderen Sportarten – als relativ gering eingestuft werden.

Über den Autor:
Dr. med. Andreas Gösele-Koppenburg ist Leiter des Swiss Olympic Medical Center und Ärztlicher Direktor der Crossklinik in Basel. Als Arzt der Schweizer Olympia-Mannschaft war er bei den Sommerspielen in Sydney, Athen, Peking und London dabei sowie bei den Winterspielen in Turin und Vancouver. Gösele-Koppenburg ist Verbandsarzt der Schweizer Leichtathleten und Radsportler. Außerdem ist der begeisterte Radrennfahrer Ärztlicher Direktor des „Trek Factory Racing“ und des „Cervelo-Bigla Pro Cycling Team“ der Schweizer Radsport-Frauen.

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