Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Energie-Riegel, Gels, Sportgetränke – welche Nahrungsergänzungsmittel sind im Sport sinnvoll?

Die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) oder Supplementen ist im Breiten- und Spitzensport weit verbreitet. Bei den meisten NEM ist die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen im Sport unzureichend. Zahlreiche Fachgesellschaften empfehlen zur Gesundheitsförderung und Leistungsoptimierung Food first-Strategien, d.h., eine an Training- und Wettkampfbelastungen angepasste, ausgewogene Ernährung. In spezifischen Situationen kann nach gründlicher Risiko-Nutzen-Analyse der Einsatz bestimmter NEM dennoch sinnvoll sein (Food first, but not always food only). Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick zum aktuellen Wissenstand und zur Bedeutung von NEM im Sport geben und exemplarisch Schlussfolgerungen ziehen, in welchen individuellen Situationen ein Einsatz Sinn machen könnte und worauf dabei zu achten ist.

Rechtliche und sicherheitsrelevante Aspekte zur Verwendung von NEM im Sport

Nahrungsergänzungsmittel zählen rechtlich zu den Lebensmitteln und unterliegen dem Lebensmittelrecht. Sie sind definiert als Produkte, die Mikrostoffe und sonstige Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung in konzentrierter oder dosierter Form enthalten („Supplemente“). Eine breitere Definition von NEM speziell in der Sporternährung umfasst darüber hinaus auch Produkte zur Energiebereitstellung oder mit Nährstoffen angereicherte „funktionelle Lebensmittel“ (z.B. Sportgetränke oder Energieriegel).

Der lebensmittelrechtliche Hintergrund bedeutet, dass NEM mit bestimmten Angaben zu Inhaltsstoffen versehen werden müssen und sie Vorgaben zu gesundheitsbezogenen Angaben unterliegen. Allerdings erfolgt keine staatliche Prüfung der Sicherheit vor dem Inverkehrbringen. Bei Bezug aus dem Ausland und unsicheren Quellen über das Internet ist mitunter fraglich, ob in deutschsprachigen Ländern geltende Bestimmungen eingehalten werden. Aufgrund möglicher Verunreinigungen von Produkten mit nicht-deklarierten und nach der World Anti Doping Agency (WADA)-Liste verbotenen Substanzen bestehen darüber hinaus potenzielle dopingrelevante Risiken. Aus einem positiven Dopingbefund aufgrund von kontaminierten Produkten können sich auch für beratende Ärzte und Ärztinnen Haftungsansprüche ergeben. Inzwischen etablierte Qualitätssicherungsprogramme (z.B. die „Kölner Liste“) ermöglichen Dopingrisiken zu minimieren. Umfangreiche Informationen zum Thema bieten auch die jeweiligen nationalen Anti-Doping-Agenturen.

 

Einteilung von NEM auf Basis der wissenschaftlichen Datenlage zum Nutzen

Das theoretische Rational für den Einsatz von NEM im Sport ist vielfältig. Trotz der häufigen Verwendung von NEM in verschiedenen Sportarten sind die wissenschaftlichen Nachweise für einen sportlichen Nutzen jedoch häufig unzureichend. Nur für relativ wenige NEM ist die Evidenz für die „Wirksamkeit“ im Sport „überzeugend“ oder „wahrscheinlich“. Dies liegt zum einen daran, dass die Datenlage für eine systematische Sichtung und Bewertung oft ungenügend ist. Zum anderen sind vorhandene Nachweise teils wenig robust (zum Bespiel aufgrund von Limitierungen beim experimentellen Design von Studien) und Studienresultate häufig inkonsistent. Zudem sind sportartspezifische Situationen schwierig zu untersuchen.

Eine hilfreiche Orientierung zur Abwägung des Einsatzes basierend auf aktueller Evidenz ist die Klassifizierung von NEM, wie sie federführend vom Australian Institute of Sports (AIS) oder der Swiss Sports Nutrition Society (SSNS) erarbeitet wurde. Auf Basis einer systematischen Sichtung und Bewertung geeigneter Studien sind NEM in die Gruppen A, B, C, und D eingeteilt. Dabei nimmt der „Härtegrad“ wissenschaftlicher Nachweise von Gruppe A nach Gruppe C ab. Gruppe D listet NEM, welche verboten sind oder bei deren Verwendung ein hohes Risiko für Verunreinigungen mit verbotenen Substanzen besteht. Diese Klassifizierung bietet einen Rahmenplan zur Information. Sie stellt allerdings keine Anleitung oder Empfehlung dar. Tabelle 1 zeigt Beispiele für NEM dieser vier Gruppen.

Tabelle 1: Beispiele für NEM anhand deren evidenzbasierter Einteilung zum Nutzen im Sport (modifiziert nach der Klassifizierung der AIS, https://www.ais.gov.au/nutrition/supplements)

Gruppe A: Möglicher Einsatz in sportartspezifischen Situationen gestützt durch gute fachliche Evidenz
Sportnahrung Medizinische Supplemente Supplemente mit „direkt“ leistungsfördernder Wirkung
─ Sportgetränke, kohlenhydrat-reiche Energieriegel, Gels

─ Proteinsupplemente

─     Eisen-Supplemente

─     Multivitamin und Multimineralstoff-Supplemente

─     Vitamin D-Supplemente

─     Probiotika-Supplemente

─   Koffeinhaltige Supplemente

─   Kreatin(-Monohydrat)

─   Bicarbonat, Natriumcitrat (Puffersubstanzen)

Gruppe B: Noch unzureichend erforscht, möglicher Einsatz erfordert individuell kontrollierte Protokolle
─ Isolierte Polyphenole

─ Kollagen-Protein

─ Carnitin

─ Fischöl

Gruppe C: Keine oder kaum fachliche Nachweise für einen Nutzen vorhanden
─ Magnesium

─ Beta-Hydroxy-beta-Methylbutyrat (HMB)

─ Verzweigkettige Aminosäuren (BCAAs)/Leuzin

Gruppe D: Verboten oder hohes Risiko einer Verunreinigung mit verbotenen Substanzen
─ Stimulanzien

─ Prohormone

─ Colostrum

Beispiele für NEM mit guter Evidenz für einen Nutzen in sportartspezifischen Situationen („Gruppe A“)

Kohlenhydratreiche Energieriegel, Gels und Sportgetränke

Im leistungsorientierten Ausdauersport kann der Einsatz von auf Basis des aktuellen Forschungsstandes konzipierten und kommerziell erhältlichen Sportnahrungsprodukten wie kohlenhydratreichen Energieriegeln, Gels und Sportgetränke sinnvoll sein (Tabelle 2). Diese Produkte dienen der Sicherstellung des Bedarfs an Energie, Kohlenhydraten und Flüssigkeit unmittelbar vor und während intensiver und langer Ausdauerbelastungen. Mit „normalen“ Lebensmitteln sind empfohlene Kohlenhydrat-Zufuhrmengen speziell unter Belastung nur schwierig oder kaum zu erreichen. Bei einer Belastungsdauer von 45 bis 75 Minuten reichen für eine leistungsfördernde Wirkung bereits geringe Mengen an Kohlenhydraten. Bei einer Belastungsdauer ab einer Stunde bis zweieinhalb Stunden wird eine Zufuhr von 30 bis 60 Gramm Kohlenhydraten pro Stunde empfohlen, ab zweieinhalb Stunden 60 bis 90 Gramm pro Stunde. Energieriegel sollten Kohlenhydrate in leicht verdaulicher und schnell absorbierbarer Form enthalten. Nahrungsfasern (Ballaststoffe) sind unter Belastung nicht sinnvoll. Physiologisch zweckmäßig sind darüber hinaus speziell bei längeren Belastungen und höheren Aufnahmemengen Kohlenhydrat-Mischungen aus Glukose (bzw. Glukose-Oligosacchariden wie Maltodextrin) und Fruktose. Häufig wird ein Verhältnis von Glukose und Fruktose von 2:1 als ideal angegeben. Basierend auf der aktuellen Datenlage kann dies allerdings nicht abschließend bewertet werden. Ein höherer Anteil von Oligosacchariden in Sportgetränken beeinflusst zudem die Osmolalität und damit die Magenentleerung und den Übergang vom Dünndarm in die Blutzirkulation günstig. Neue Studienergebnisse weisen darauf hin, dass trainierte Personen möglicherweise auch über 90 Gramm pro Stunde unter Belastung aufgenommene Kohlenhydrate tolerieren und energetisch verwerten können. Für eine Bewertung sind hierzu aber noch weitere systematische Untersuchungen erforderlich. Bei extremen Belastungen unter Hitzebedingungen und zu erwartend hohen Schweißverlusten ist zur Vermeidung einer zu niedrigen Natriumkonzentration im Blut auf die Beigabe von Natrium in Sportgetränken zu achten. Die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie die Verträglichkeit der Produkte, die später im Wettkampf verwendet werden, sollten unter möglichst wettkampfähnlichen Bedingungen trainiert und getestet werden.

Tabelle 2: Beispielhafte sportartspezifische Situationen, in welchen der gezielte Einsatz bestimmter NEM sinnvoll sein kann

Sportartspezifische Situationen Beispiele
Situationen, in denen die bedarfsdeckende Aufnahme von Energie, Nährstoffen (besonders Kohlenhydrate) und Flüssigkeit in Form von „natürlichen“ Lebensmitteln nicht praktikabel ist Einsatz speziell konzipierter Produkte (z.B. Energieriegel, Gels, Sportgetränke, etc.) unmittelbar vor, während und nach intensiven, langen Ausdauerbelastungen
Bei einem klinisch diagnostiziertem Nährstoffmangel unter medizinischer Überwachung Supplementierung mit Eisen zur Behebung eines Eisenmangels ergänzend zur Optimierung der Ernährung
Situationen, in denen hochwertige Lebensmittel nicht verfügbar sind, Mahlzeiten nicht zubereitet werden können oder in Trainingsphasen im Energiedefizit zur Gewichtsreduktion Zeitlich begrenzter Einsatz moderat dosierter Vitamin- und Mineralstoffsupplemente
Wenn bestimmte Inhaltstoffe mit „sporternährungsspezifischer“ Wirkung nicht in ausreichenden Mengen in Lebensmitteln vorhanden sind oder deren Gehalt unbekannt ist Einsatz von Kreatin(-Monohydrat) zur trainingsunterstützenden Wirkung und Förderung des Muskel- und Kraftaufbaus

 

Proteinsupplemente

Ebenfalls zu Sportnahrungsprodukten und NEM der Gruppe A zählen Proteinpräparate. Leistungsphysiologische Bedeutung haben Proteinen (Eiweiße) insbesondere für die trainingsinduzierte Neubildung körpereigener Proteine als molekulare Basis für Anpassungen an Kraft- und Ausdauertraining. Grundsätzlich kann ein trainingsbedingter Mehrbedarf von 1,2 bis 2 Gramm Proteinen pro Kilogramm Körpergewicht (abhängig von der Trainingsgesamtbelastung) sehr gut über eine geeignete Zusammenstellung natürlicher Lebensmittel abgedeckt werden. Dies gilt auch für die empfohlene Zufuhr von 20 bis 30 Gramm hochwertigen Proteinen in der unmittelbaren Regenerationsphase nach intensivem Training, um die muskuläre Proteinneubildung zu optimieren. Proteinsupplemente bieten keinen physiologischen Vorteil im Vergleich zu Lebensmitteln. Der temporäre Einsatz entsprechend konzipierter Proteinsupplemente kann allerdings die Proteinzufuhr in speziellen Situationen, zum Beispiel bei Notwendigkeit zur Energierestriktion in „Gewichtsreduktionsphasen“ erleichtern. Auch in besonders intensiven Trainingsphasen oder bei Wettkämpfen im Ausland stellen Sportnahrungsprodukte, welche beispielweise Kohlenhydrate und Proteine kombinieren, praktikable Ergänzungen zur lebensmittelbasierten Sporternährung dar.

Mikronährstoff-Supplemente

Neben den oben beschriebenen Sportnahrungsprodukten beinhaltet „Gruppe A“ auch sogenannte „medizinische Supplemente“ zur Behandlung klinisch diagnostizierter Mängel mit Mikronährstoffen oder anderer klinischen Probleme (Tabelle 1). Zu möglicherweise kritischen Mikronährstoffen in sportartspezifischen Situationen zählen insbesondere Eisen, Calcium, Natrium und Vitamin D. Potenzielle Ursachen für ein erhöhtes Risiko für eine suboptimale Versorgung sind sportassoziierte Verluste (z.B. über den Schweiß), ein trainingsbedingter Mehrbedarf (z.B. durch einen gesteigerten Energieumsatz), und sportartspezifische Ernährungsweisen (z.B. in Phasen der Gewichtsreduktion).

Ein möglicher sportbedingter Mehrbedarf bei Mineralstoffen und Vitaminen schwierig zu bestimmen. Allerdings kann auch ein theoretischer Mehrbedarf im Bereich von ca. 100 bis 200 Prozent der Referenzwerte für die Allgemeinbevölkerung in der Regel sehr gut durch eine ausgewogene und energiebilanzierte Ernährung erreicht werden. Multi-Vitamin-/Mineralstoff-Präparate machen nur in bestimmten Situationen Sinn (Tabelle 2). Dabei sollte auf eine entsprechend „physiologische“ Dosierung geachtet werden. Aus Ergebnissen von Studien zur trainingsbegleitenden Wirkung hochdosierter Antioxidantien-Supplemente ist etwa bekannt, dass übernatürlich hohe Mengen an antioxidativ wirksamen Vitaminen und Pflanzeninhaltsstoffe molekulare Trainingsanpassungen beeinträchtigen können.

Zweckmäßig ist eine Supplementierung beispielsweise bei einem klinisch und ärztlich diagnostizierten Eisenmangel. Für eine Diagnose sollten zumindest Befunde zu Serum-Ferritin, zur Transferrin-Sättigung und der Hämoglobin-Konzentration vorliegen. Dabei ist darauf zu achten, dass Blutentnahmen unter möglichst standardisierten Bedingungen stattfinden (z.B. in der Früh und nach nur moderater körperlicher Aktivität in den letzten 24 Stunden). Bei einer nicht-anämischen Eisenanämie liegt der Fokus zunächst auf einer optimierten Lebensmittelzusammenstellung. Erst wenn eine Ernährungstherapie nicht erfolgreich ist oder ein anämischer Eisenmangel vorliegt, ist eine Supplementierung unter ärztlicher Überwachung angezeigt. Für eine Eisensupplementierung wurden entsprechende situationsabhängige Protokolle veröffentlicht. Von einer präventiven, langfristig überhöhten oder eigenständigen Eisensupplementierung ist aufgrund gesundheitlicher Risiken abzuraten.

Supplemente zum direkten Einsatz der Leistungsoptimierung

Eine „direkt“ leistungsfördernde Wirkung ist nur bei sehr wenigen NEM wissenschaftlich nachgewiesen (Tabelle 1). Zu Wirkstoffen mit Leistungseffekten in bestimmten Situationen zählen beispielsweise Kreatin (in Form von Kreatin-Monohydrat) und Koffein. Eine trainingsbegleitende Supplementierung mit Kreatin erhöht die körpereigenen Kreatinphosphat-Speicher, was den Muskel- und Kraftaufbau und somit hoch-intensive Kraft- und Sprintleistungen fördern kann. Auch zur leistungsfördernden Wirkung von Koffein auf Ausdauer, Kraft und Schnelligkeit ist sehr gute Evidenz vorhanden. Für den Einsatz dieser NEM der „Gruppe A“ sind in der Fachliteratur entsprechende Protokolle veröffentlicht, welche situativ getestet und erforderlichenfalls individuell abgestimmt werden sollten.

 

Fazit

Zusammenfassend kann insbesondere im Leistungssport der kontrollierte Einsatz bestimmter NEM in sportartspezifischen Situationen sinnvoll sein (Tabelle 2). Im Rahmen einer entsprechenden Nutzen-Risiko-Analyse ist abzuwägen, ob 1) es ausreichend wissenschaftliche Nachweise zum Nutzen in einer bestimmten Situation gibt (siehe Tabelle 1), 2) der ernährungsspezifische Wirkstoff nicht besser über „alltägliche“ Lebensmittel aufgenommen werden kann, und 3) es gesundheits-, leistungs- und dopingrelevante Risiken gibt. Aufgrund mangelnder Nachweise ist besonders bei neuen Produkten Vorsicht geboten. Kritisch zu betrachten ist ein Einsatz bei Kindern und Jugendlichen, da physiologische Wechselwirkungen von NEM mit der Entwicklung und Wachstum kaum untersucht sind und darüber hinaus möglicherweise ein falscher Eindruck zur (untergeordneten) Bedeutung von NEM vermittelt wird. Sowohl für den Breiten- als auch für den Spitzensport bietet eine ausgewogene Lebensmittelauswahl ein enormes Potenzial. In den letzten Jahren wurden zahlreiche lebensmittelbasierte Empfehlungen für eine an Trainingsbelastungen angepassten Ernährung entwickelt und validiert. Anschauliche Beispiele sind die Lebensmittelpyramide für Sportler und Sportlerinnen der SSNS oder „The Athlete’s Plate“. Um das Potential einer lebensmittelbasierten Sporternährung entsprechend zu nutzen, kann eine individuelle Betreuung und Beratung durch (sportspezifisch) qualifizierte und zertifizierte Ernährungsfachpersonen hilfreich sein.

 

Literaturquellen:

 

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DER AUTOR:

PD Dr. Oliver Neubauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung der Universität für Weiterbildung Krems. Weiterhin ist er Forschungsbereichsleiter und Privatdozent für das Fach „Sporternährung mit physiologischer Ausrichtung“ am Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien.