Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Essay “Leistungssportreform aus medizinischer Sicht”

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit mehr als drei Jahren wird im deutschen Sport über eine Leistungssportreform diskutiert. Dabei kommen wesentliche Aspekte des Sports, vor allem auch aus medizinischer Sicht, zu kurz. Mehr Medaillen erringen zu wollen, ist das Eine. Prävention und eine weithin unterschätzte positive Wertevermittlung durch Sport das Andere. Angesichts von Bewegungsmangel, Fehlernährung und unsachgemäßem Sporttreiben, was zu hohen Kosten im Gesundheitswesen führt, wäre ein umfassender Sportplan dringend geboten. Im aktuellen GOTS-Newsletter wagt Prof. Dr. med. Martin Engelhardt einen kritischen Blick über den Tellerrand der Leistungssportreform aus medizinischer Sicht und beschreibt, wie finanzielle Mittel gesamtgesellschaftlich gut investiert wären.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher


Nur noch wenige Tage, dann beginnt der Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS), der vom 24. bis 26. Mai 2018 in Hamburg erstmals als Deutscher Olympischer Sportärztekongress stattfinden wird. Die Premiere der dreitägigen Veranstaltung, die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) ausgerichtet wird, trägt den Titel: “Gemeinsam für einen gesunden Sport”. Die Registrierung für den Kongress unter dem Patronat der ESSKA, zu dem mehr als 1.000 Sportärzte, Orthopäden, Traumatologen, Sportwissenschaftler, Bewegungsmediziner, Biologen, Chirurgen, Internisten, Kinderärzte, Sport-Therapeuten und viele andere Experten aus der Gesundheitswirtschaft aus dem In- und Ausland erwartet werden, ist unter www.deutscher-olympischer-sportaerztekongress.de/registrierung/ noch möglich. Ehrengäste werden der Sportwissenschaftler Ph.D. J. Larry Durstine von der University of South Carolina sowie MD Dr. Volker Musahl von der University of Pittsburgh sein, der sich auf orthopädische Chirurgie und Sportmedizin spezialisiert hat. Nähere Informationen zu den geplanten Sitzungen und internationalen Session-Highlights an der Universität Hamburg (Edmund-Siemers-Allee 1/Gebäude 20) entnehmen Sie bitte dem aktuellen Pocket-Programm im Anhang dieses GOTS-Newsletters sowie der Kongress-Website www.deutscher-olympischer-sportaerztekongress.de.


Wir möchten Sie zudem auf folgende Veranstaltungen hinweisen:
14. bis 16. Juni 2018 in Regensburg: 25. Jahreskongress der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE) e.V. (https://dvse-kongress.de/)
15. bis 16. Juni 2018 in Salzburg: Spine in Sports, Thema: Interdisziplinäres Symposium Fußballmedizin und konservative Sportmedizin (https://www.sinwel.com/gots/pdf+doc/2018-spineinsports.pdf)
21. Juni 2018 in Basel: F.A.M.E. speciality day – Knorpelläsionen und Gelenkdegeneration im Sport (https://www.djoglobal.de/tl_files/djoGlobal/pdf/veranstaltungPDFs/FAME-SD-Basel-Juni18-Web.pdf)
29. bis 30. Juni 2018 in Pfronten/Allgäu: 15. Allgäuer Symposium Orthopädische Chirurgie (https://www.vinzenz-klinik.de/pdf/Programm-Symposium-2018_Internet.pdf)

Prävention immer wichtiger –
Deutschland braucht ein umfassendes Sportprogramm

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO führt Arthrose nicht nur zu einer Einschränkung der Lebensqualität, zu Schmerzen und zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Die Arthrose steht hinter Herz-Kreislauf- und cerebrovaskulären Erkrankungen zudem an dritter Stelle bei den Gründen für den Verlust an Lebenszeit. Die Ursachen hierfür liegen häufig im Bewegungsmangel begründet.

Bewegungsmangel ist neben der Fehlernährung und unsachgemäßem Sporttreiben aber auch die Ursache für hohe Kosten im Gesundheitswesen.

2007 hatten in Deutschland 58,9 % der Frauen und 75,4 % der Männer einen BMI > 25, Bei 22,5 % der Männer sowie 23,2 % der Frauen war der BMI (Body-Mass-Index) sogar größer als 30. Auch 16 % der deutschen Kinder sind übergewichtig, 6% adipös. Nur knapp ein Drittel der Jungen und ein Fünftel der Mädchen bewegen sich täglich eine Stunde. 1950 war das noch anders, da bewegte sich der Deutsche im Schnitt noch zehn Kilometer am Tag. Aktuell beträgt die Strecke unter 700 Meter. Zehnjährige Kinder können im Schnitt nicht mehr als 1.000 Meter am Stück rennen.

Im Jahr 2008 haben die gesetzlichen Krankenkassen 340 Millionen Euro für Prävention ausgegeben. Schlechte Ernährung und Bewegungsmangel haben dagegen im selben Jahr Kosten von mehr als 70 Milliarden Euro verursacht. Diese Zahlen machen nicht nur nachdenklich, sie sollten wachrütteln. Doch auch der Profisport ist in dieser Hinsicht teuer. Nachzulesen ist das im Sportreport der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) 2016, der das Unfallgeschehen und die Kosten in den zwei höchsten Ligen der Männer im Basketball, Eishockey, Fußball und Handball analysiert.

Isolierte Leistungssportreform greift zu kurz

Seit mittlerweile mehr als drei Jahren wird in Deutschland eine isolierte Leistungssportreform diskutiert, deren Zielstellung mehr internationale Medaillen sein sollen. Ohne Doping und mit möglichst geringen finanziellen Investitionen. Solange ein umfassender und langfristiger nationaler Sportplan aber fehlt, der mit dem Bund, den Ländern sowie den Sportverbänden und -vereinen abgestimmt ist, wird dieses Vorhaben wenig Aussicht auf Erfolg haben. Wir sollten realistisch auf die zurückliegenden Erfolge der deutschen Athleten schauen, für die in erster Linie kompetente und engagierte Trainer sowie starke Strukturen einiger Fachverbände mit fachlich kompetentem Personal verantwortlich sind. In Sportarten wie Fußball oder Reiten hat weder der Staat noch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) großen Anteil an den Siegen und Medaillen.

Vor allem in den Sportarten, die finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen können, sind die Unterstützungen durch die Wissenschaftsinstitute des deutschen Sports essenziell. Dazu gehören das IAT in Leipzig und das FES in Berlin ebenso wie weitere wissenschaftliche Einrichtungen sowie die Olympiastützpunkte mit ihren vielfältigen Service-Leistungen, aber auch die wirtschaftliche Absicherung der Athleten durch die Bundeswehr und Polizei. Will man Deutschland im Sport wirklich ernsthaft und beständig erfolgreich machen, bedürfte es eines langfristig angelegten Sportplanes – ähnlich dem, der in Großbritannien seit Jahren existiert.

Wir müssen uns derzeit eingestehen, dass Deutschland mehrheitlich kein Sportland mehr ist – höchstens vielleicht, wenn es um den Sportkonsum vor dem Fernseher geht. Es darf nicht nur vordergründig und isoliert auf leistungssportliche Erfolge geschaut werden. Von besonderer Bedeutung für die Gesellschaft ist insbesondere auch die positive Wertevermittlung durch den Sport. Ein Mehrwert, der von den maßgeblichen Entscheidungsträgern in Deutschland noch immer unterschätzt wird.

Daraus ergibt sich die Legitimation, ja sogar die Verpflichtung, wesentlich mehr finanzielle Mittel für die Umsetzung eines umfassenden Sportplanes – wie Großbritannien es schon 1996 in Angriff genommen hat – bereitzustellen.

Umfassendes Sportprogramm mit Präventionsplan kombinieren

Wir müssen erkennen, dass wir nur durch gemeinsames Handeln und durch fachliche Kompetenz auf allen Ebenen Erfolge erzielen können. Dazu bedarf es aber auch eines abgestimmten langfristigen und umfangreichen Sportplans. Die hierür notwendigen finanziellen Mittel wären gesamtgesellschaftlich gut investiert. Auf der anderen Seite könnten dadurch Kosten im erheblichen Milliardenbereich eingespart werden, die durch mangelnde Gesundheit und gesellschaftliche Fehlentwicklungen entstanden sind.

Damit nicht nur sportliche Erfolge erzielt werden, sondern auch das bewährte Gesundheitssystem auf hohem Niveau bestehen kann, ist neben einem umfassenden Sportprogramm auch ein Präventionsplan vonnöten. Dieser sollte mit dem Staat, Kindergärten und Schulen, dem organisierten Sport und den medizinischen Gesellschaften abgestimmt, mit den entsprechenden Schulungsmaßnahmen unterlegt und langfristig für mehrere Jahrzehnte angelegt sein. Zusätzlich müssten allerdings auch die Leistungsanreize angepasst werden.

Über den Autor

Prof. Dr. med. Martin Engelhardt ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie des Klinikums Osnabrück, Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU) und Mitglied in der medizinischen Expertenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Seine sportliche Laufbahn begann Engelhardt als Bundesliga-Schwimmer des EOSC Offenbach; als Triathlet nahm er 1987 am Ironman auf Hawaii teil. Bei den Olympischen Spielen in Athen (2004) und Peking (2008) war der Spezialist für Orthopädie und Sporttraumatologie Leitender Orthopäde der deutschen Mannschaft sowie von 2000 bis 2006 Präsident der GOTS.

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