Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Fallgruben für verletzte Sportler

Sporttraumatologie im Minutentakt

In aller Regel sind unsere Sportler – egal ob im Bereich des Breiten- oder Leistungssportes, besonders aber auch unsere Hochleistungssportler – entweder in einer “Gesetzlichen Krankenversicherung” oder über die “Besonderen Kostenträger” (also Bundeswehr oder Bundesgrenzschutz) versichert. Ihre sportorthopädische Versorgung – und hier ganz besonders die Behandlung von Sportverletzungen – unterliegt damit im vollen Umfang den Folgen der sogenannten “Gesundheitsreform” und der seit 1. April 2005 geltenden neuen Gebührenordnung für ärztliche Leistungen, dem “EBM 2000 Plus” (Einheitlicher Bewertungsmaßstab 200 Plus).

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Diagnostik und Therapie von Sportverletzungen? Hierzu einige Erfahrungen aus einer großen sportorthopädisch ausgerichteten Praxis:

  1. Mit Inkrafttreten des “EBM 2000 Plus” richtet sich die ärztliche Betreuung unserer Sportler nach Minutenvorgaben, innerhalb derer der Arzt seine Leistungen zu erbringen und abzurechnen hat. Beispielsweise werden für die Anfertigung und Deutung von Röntgenaufnahmen eines Kniegelenkes in zwei Ebenen zwei Minuten vergütet, für das Anlegen eines Gipsverbandes vier Minuten: Sporttraumatologie im Minutentakt.
  2. Für Verletzungen, die bisher im Rahmen eines stationären Aufenthaltes operativ behandelt wurden, ist nunmehr eine Übernahmeerklärung der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung einzuholen. Diese wird leider in zunehmendem Maße von den Krankenkassen abgelehnt.
  3. Die Vergütung für operativ tätige Belegärzte wurde pauschal um die Hälfte gekürzt: Eine auch nur wenigstens kostendeckende Therapie ist damit nicht mehr möglich. Auf diese Weise wird es hochproblematisch, für gesetzlich versicherte Sportler adäquat qualifizierte Operateure zu finden.
  4. Für die Nachbehandlung nach Sportverletzungen ist die Verordnung von Physiotherapie in aller Regel zwingend notwendig. Mit Inkrafttreten der Gesundheitsreform sind hier derart rigide Regelungen eingeführt worden, dass – zumindest im Leistungs- und Hochleistungssport – eine kontinuierliche Behandlung bis zur Wiedererlangung der Sportfähigkeit nicht mehr möglich ist.
  5. Zur medikamentösen Behandlung von Sportverletzungen und deren Folgen stehen dem Orthopäden (in Bayern) durchschnittlich 8,57 Euro im Quartal zur Verfügung. Dieser Betrag reicht für die zumeist notwendige Therapie bei weitem nicht aus. Will der behandelnde Arzt einen Regress vermeiden, muss er bei seinen sonstigen Patienten entsprechende Einsparungen durch eine rigide Verordnungsweise erzielen.
  6. Die Einführung von Hausarztmodellen wird sicherlich dazu führen, dass Sportverletzungen verspätet diagnostiziert und entsprechend verschleppt behandelt werden. Der Hausarzt kann und darf den Sportorthopäden in der Primärdiagnostik nicht ersetzen.
  7. In die Rubrik “verschleppte Diagnostik” fallen auch die mit Inkrafttreten des “EBM 2000 Plus” drastisch abgesenkten Möglichkeiten zur kernspintomographischen Diagnostik (MR): Die häufig sehr zeitnah zwingend notwendige MR-Diagnostik zur Abklärung von Sportverletzungen wird künftig nur mehr in etwa der Hälfte der Fälle möglich sein.

Die ein Jahr nach Inkrafttreten der “Gesundheitsreform” gefeierten “Einsparungen”, verstärkt durch den ab 1. April 2005 geltenden EBM 2000 Plus, erschweren und verschlechtern die Diagnostik und Behandlung von Sportverletzungen substantiell. Es muss jedem aktiven Sportler dringend geraten werden, für den Fall einer Verletzung dahingehend vorzusorgen, dass er sich entweder als Privatpatient versichert oder zumindest eine private Zusatzversicherung für stationär notwendige Behandlungen abschließt; anderenfalls muss davon ausgegangen werden, dass eine optimale Versorgung seiner Verletzungen nicht mehr gewährleistet ist.

Dr. Volker Jägemann, Freising, 28. April 2005

Der Autor ist am 26. Januar 1941 in Bunzlau geboren, ist seit November 1973 Niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin in Freising, wirkte von 1976 bis 1996 als Leitender Verbandsarzt des Deutschen Ringerbundes und arbeitet seit 1996 als Leitender Verbandsarzt des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland. Dr. Volker Jägemann war in der sportmedizinische Betreuung von Hochleistungssportlern bei mehr als 40 Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei den Olympischen Spielen 1998 in Seoul, 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta sowie 2002 in Salt Lake City aktiv.

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