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Frauenfußball: Bleibt alles anders?

Sehr geehrte Damen und Herren,
Können Frauen überhaupt Fußball spielen? Hand aufs Herz: wer hat sich diese Frage nicht schon einmal gestellt? Und wenn wir schon mal dabei sind: Wann ist Frauenfußball eigentlich anerkannt worden und warum? Sind Frauen spielerisch gleich? Warum haben sie weniger Verletzungen? Welchen Unterschied zu den Männern gibt es in der Art der Verletzungen und ihrer Entstehung?

Diesen und anderen Fragen geht unser Autor Dr. med. Ingo Tusk in allen Facetten nach. Der erfahrene Mannschaftsarzt nimmt den Leser mit in die Welt der Frauen, die am Ball sind. Und: auf der Höhe der Zeit. Frauenfußball ist nämlich spannend und – anders. Und das ist auch gut so!

Herzlichst,
Ihre Kathrin Reisinger, GOTS-Pressesprecherin (presse@gots.org)

Frauenfußball: Bleibt alles anders?

© picture alliance/dpa/Anspach

Vom 7. Juni bis zum 7. Juli 2019 findet in Frankreich zum achten Mal seit 1991 der „FIFA Women’s World Cup“ als offizielle Weltmeisterschaft statt. Zuvor wurden bereits einige internationale, meist inoffizielle Turniere für Frauen-Nationalmannschaften durchgeführt. In der Endrunde treten 24 Mannschaften gegeneinander an. Wer wegen dieser kurzen offiziellen Anerkennung durch die Fußballverbände glaubt, Frauenfußball sei eine relativ „neue“ Sportart, irrt sich. Bereits 1894 wurde das erste britische Frauenfußballteam geründet. Den größten Aufschwung erlebte der Frauenfußball während des Ersten Weltkrieges. Wie andere Bereiche des Sport- und Kulturbetriebes war auch der Fußball von den massenhaften Rekrutierungen zum Kriegsdienst stark beeinträchtigt. Im Männerfußball war es vielen Verbänden nicht möglich den regelmäßigen Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Wegen dieser Umstände wurde dem Frauenfußball über Nacht eine ungekannte Aufmerksamkeit entgegengebracht, die den Vereinen neue Mittel und Spielerinnen zuführte.

Das erste in Deutschland dokumentierte Ergebnis eines Spiels zwischen Frauenmannschaften war ein 2:1 einer Münchner gegen eine Berliner Elf im Jahr 1927.

Der ursprünglich sehr raue Charakter des Sportspiels Fußball verführte 1953 den Anthropologen Frederik Jacobus Johannes Buytendijk zu der Aussage: „Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen. […] Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob darum getreten werden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“

Als das deutsche Männerteam 1954 die Fußball-Weltmeisterschaft gewann, kam in Deutschland die Diskussion um den Fußball der Frauen erneut auf. 1955 beschloss der DFB auf seinem Verbandstag, das Fußballspielen mit Damenmannschaften zu unterbinden. Er verbot den ihm angeschlossenen Vereinen, Frauenabteilungen zu gründen oder Sportstätten zur Verfügung zu stellen. Als Begründung für das Verbot hieß es in der entsprechenden Erklärung des DFB unter anderem:

„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“

Erst am 31. Oktober 1970 hob der DFB das Frauenfußballverbot wieder auf.

1989 schaffte die deutsche Nationalmannschaft erstmals die Qualifikation für die Europameisterschaft und gewann sie durch einen 4:1-Sieg gegen Norwegen. Als Siegprämie erhielt jede Nationalspielerin, darunter die heutige Nationaltrainerin, ein Kaffeeservice.

Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei und für einen WM Sieg in Canada 2015 wäre jede Spielerin mit 65.000 € belohnt worden.

2018 waren beim DFB aktuell 5966 Frauen-Mannschaften registriert.

Aktueller Spot für die WM 2019 mit Kaffeeservice und Selbstironie (Foto: Screenshot Youtube)

Verletzungen im Frauenfußball

Die Studienlage ist im Vergleich zum „Männerfußball“ relativ dünn. Im Rahmen der WM 2007 in China wurden von der Fifa Zahlen veröffentlicht.

Insgesamt kann man sagen, dass bei Frauen – abgesehen von einigen Ausnahmen – die Verletzungsgefahr geringer ist als bei Männern.

Ein weiterer Unterschied zwischen den Geschlechtern ist die Art der Verletzungen, wobei Frauen allem Anschein nach anfälliger für Knöchel- und Bänderverletzungen sind als ihre männlichen Kollegen. Vor allem die Häufigkeit von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes ist bei Frauen bis zu zehn Mal höher als im Männerfußball.

Bei den vergangenen beiden FIFA Frauen-Weltmeisterschaften, bei den Olympischen Frauen-Fußballturnieren 2000 und 2004 sowie bei den letzten drei Juniorenmeisterschaften 2002, 2004 und 2006 gab es in 174 Spielen insgesamt 387 Verletzungen. Das sind 2,2 Verletzungen pro Spiel – bei den Männern sind es etwa 2,7. Die niedrigste Verletzungsrate wurde bei den beiden FIFA Frauen-Weltmeisterschaften registriert (1,5 Verletzungen pro Spiel), die höchste bei den Juniorenmeisterschaften (2,7). Dies weist darauf hin, dass jüngere Spieler verletzungsanfälliger sind als ältere – sowohl im Männer- als auch im Frauenfußball.

Die Art der Verletzungen ist bei Männern und Frauen ähnlich. Etwa zwei Drittel aller Verletzungen betreffen die untere Extremität, vor allem den Knöchel, das Knie und die Oberschenkel. Die zweithäufigsten Verletzungen betreffen den Kopf, gefolgt von Rumpf und Armen. Die häufigsten Verletzungen sind Prellungen, Verstauchungen, Bänderrisse und -zerrungen sowie Muskelfaserrisse. Am häufigsten wird die Diagnose Sprunggelenksdistorsion gestellt. Die größte Verletzungsgefahr in einem Spiel gibt es erwartungsgemäß bei Zweikämpfen.

Zahlreiche Verletzungen gehen einzig und alleine darauf zurück. Fast 30 Prozent aller Verletzungen im Frauenfußball, denen ein Zweikampf vorangegangen ist, entstanden aus Fouls, während im Männerfußball fast die Hälfte der Verletzungen auf Fouls zurückzuführen ist.

Bei der Entstehung von Verletzungen scheint es daher erhebliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu geben. Bei den Frauen erleidet die attackierende Spielerin (45%) fast ebenso oft eine Verletzung wie die Spielerin im Ballbesitz (55%).
Bei den Männern hingegen kommt der angreifende Spieler öfter ohne Verletzung davon. Des Weiteren sind Frauen einem viel höheren Verletzungsrisiko beim Hineingrätschen und einem geringeren Risiko bei Tacklings von hinten ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen.

Während eines Spiels ist die Verletzungsgefahr zum Ende der Halbzeiten am größten. Das geringste Verletzungsrisiko besteht in den ersten 15 Minuten einer Halbzeit. Danach steigt die Häufigkeit von Verletzungen. In Spielen, bei denen der Einsatz besonders hoch ist, kann die Verletzungsgefahr sechs bis acht Mal höher liegen als im Training. Während sowohl im Training als auch bei den Spielen die Beine am häufigsten von Verletzungen betroffen sind, so gibt es bei anderen Verletzungsarten doch Unterschiede. Kopf- und Nackenverletzungen etwa treten in Spielen erheblich häufiger auf als im Training.

Warum es bei Frauen häufiger zu VKB- Verletzungen kommt konnte noch nicht eindeutig geklärt werden. Es gibt anatomische Hypothesen, die den höheren Q-Winkel oder die engere Notch als Ursache sehen. Physiologische Hypothesen sehen einen Zusammenhang durch die erhöhte Gelenklaxizität und eine „Quadrizeps“ Dominanz bei weiblichen Athleten. Und hormonelle Betrachtungen finden eine Korrelation mit den Menstruationsphasen. Es ist daher anzunehmen, dass es sich um multifaktorielle Ursachen handelt.

Prävention

Zur Prävention von fußballspezifischen Verletzungen gibt es effektive Trainingsprogramme. Eines der bekanntesten ist das „11+“, welches auch im Amateurbereich konsequent beim Aufwärmen angewendet werden sollte.

Die deutschen Spielerinnen der Frauennationalmannschaft waren 2 Mal Weltmeisterinnen, 8 Mal Europameisterinnen, haben eine olympische Gold- und 3 Bronzemedaillen gewonnen. Dennoch kämpfen sie nach wie vor nicht nur gegen „Gegner“, sondern auch gegen Vorurteile, wie im neuen, sehr modernen und frechen Spot der Commerzbank zu sehen ist.

Dem dortigen Fazit: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“ ist wohl nichts hinzu zu fügen.

Ich wünsche unserer Frauennationalmannschaft das Allerbeste für die WM 2019!

Der Autor

Dr. med. Ingo Tusk (im Foto mit Kapitänin Saskia Bartusiak nach dem Olympiasieg 2016), ist Facharzt für Orthopädie, spezielle orthopädische Chirurgie, Sportmedizin. Als Chefarzt leitet er die zertifizierte Klinik für Sportorthopädie und Endoprothetik der Frankfurter Rotkreuzkliniken e.V.. Seit 2007 ist er als Mannschaftsarzt im Frauenfußball aktiv und hat die Frauenfußballnationalmannschaft bei den olympischen Spielen 2016 in Rio betreut. Er ist Vizepräsident der DGSP und 1. Vorsitzender der Sportärzteverbandes Hessen e.V..


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In eigener Sache

Neue Geschäftsstelle der GOTS im Zentrum von Jena

Nach vielen Gesprächen und langen Vorbereitungen wurde am 31. Mai die neue Geschäftsstelle der GOTS in Betrieb genommen.


© GOTS(2)

Ein großes, helles, modernes Büro verbessert nun erheblich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen. Die Geschäftsstelle befindet sich auf dem ehemaligen Klinikumsgelände im Stadtzentrum von Jena. Die Uni-Klinik Jena ist nach Erweiterungen mit ihrem Klinik-Betrieb an den Stadtrand gezogen. Auf dem ehemaligen Gelände im Zentrum befinden sich jedoch weiterhin die Verwaltung, Labore und andere Wirtschaftsbereiche. Die GOTS dankt ausdrücklich dem Uniklinikum Jena für die Unterstützung. Darüber hinaus laufen derzeit Gespräche zu einer künftigen Kooperation zwischen GOTS und dem Universitätsklinikum Jena.

v.l.: Prof. Dr. Martin Engelhardt, Dr. Silke Guddat (Verlag Elsevier), Dr. Katrin Henkel, Petra Enderlein, Prof. Dr. Romain Seil.


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