Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Fußball-WM 2018

Sehr geehrte Damen und Herren,

am Sonntag beginnt für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland das Unternehmen Titelverteidigung. Erster Gegner in der Gruppe F wird im Moskauer Luschniki-Stadion Mexiko sein. Viel Zeit zur Regeneration nach einer anstrengenden Saison hatte keiner der 23 Akteure aus dem Kader von Bundestrainer Joachim Löw. Champions-League-Sieger Toni Kroos von Real Madrid, aber auch die anderen im europäischen Ausland aktiven Spieler haben zumeist ein noch größeres Pensum absolviert als die Protagonisten aus der Bundesliga.

Welche Gefahren eine Überbelastung bergen kann, welche Möglichkeiten auf der anderen Seite aber die nur noch hierzulande praktizierte Winterpause bietet und warum Bundestrainer Löw in der Summe eine geschickte Belastungssteuerung betreibt, beschreiben Dr. med. Helge Riepenhof und Jan-Niklas Droste im aktuellen GOTS-Newsletter.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org


Schon heute wollen wir Sie auf den 34. Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) hinweisen, der vom 27. bis 29. Juni 2019 in Österreich stattfinden wird. Zum Thema “Sport-Medizin: von 0 – 100“ laden Kongresspräsident Dr. med. Rolf Michael Krifter und Kongresssekretär Dr. med. Christian Lang nach Salzburg ein. Erstmals sollen kindliche und jugendliche Sportverletzungen sowie Überlastungsschäden und Sport mit angeborenen Störungen im Vordergrund stehen. Geplant sind außerdem Themen zum älteren sportlich aktiven Patienten mit spezifischen altersbedingten Verletzungsmustern und Überlastungsschäden. Ein weiterer wissenschaftlicher Schwerpunkt ist der zunehmenden Herausforderung “Sport mit Arthrose und Prothese” gewidmet. Ihre Abstract-Anmeldung ist bis zum 1. Dezember 2018 möglich. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte dem Flyer im Anhang dieses GOTS-Newsletters.


Wir möchten Sie zudem auf folgende Veranstaltungen hinweisen:
16. Juni 2018 in Hamburg: Präventionssymposium Fußball (https://www.vbg.de/SharedDocs/Medien-Center/DE/Faltblatt/Branchen/Sport/Programm_Praevsymposium_FUSSBALL_Hamburg.pdf;%20jsessionid=C6B75ECE889FBFDEE8DE0BB6F6AE7822.live4?__blob=publicationFile&v=3)
19. Juni 2018 – 20.15 Uhr: Online-Live-Event zum Thema “Gelenknahe Osteotomien” (https://news4friends.winglet.live/m/10905312/1088748-deb391441f24a0ec5309558ea21396b6) GOTS-Mitglieder erhalten 20 Euro Rabatt.
23. Juni 2018 in St. Peter-Ording: Thementag Update OSG/Knie (https://www.ottobock.de/media/lokale-medien-de_de/veranstaltungen/kongresse/2018/30193_stpeterording-de-01-1804k.pdf)
05. September 2018 in Lenzerheide/Schweiz: Medical Summit UCI World Mountainbike Championship 2018 (https://www.sgsm.ch/fileadmin/user_upload/Agenda/2018_Lenzerheide_Symposium.pdf)
06. bis 09. September 2018 in Wien: 4. Allgemein- und Sportmedizinisches Symposium d. ÖMGGT (https://www.oemggt.org/)
10. bis 14. September 2018 in Diavolezza/Schweiz: Wilderness and Expedition Medicine Diploma Course (https://www.sggm-ssmm.ch/de/Kurse/Kursprogramm/Hoehenmedizinkurs)

Überdies möchten wir Sie darüber informieren, dass das in Zusammenarbeit mit Experten der GOTS entstandene Post-Live-Video “Muskel- und Sehnenverletzungen” auf Winglet (https://www.winglet-community.com/de/content/174-fuer-die-praxis-muskel-und-sehnenverletzungen) flexibel und für alle GOTS-Mitglieder kostenfrei abrufbar ist. Das Event ist für zwölf Monate zertifiziert. Beachten Sie die Anleitung zur Gutscheineinlösung.

Fußball-WM 2018 in Russland: Stress ohne Pause

Welches Verletzungsrisiko tragen die deutschen Nationalspieler?

Mit 23 Akteuren ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft nach Russland (14. Juni bis 15. Juli 2018) gefahren, darunter Champions-League-Sieger Toni Kroos (Real Madrid) und viele seiner Kollegen aus ausländischen Vereinen. Jeder dritte Spieler aus dem Kader von Bundestrainer Joachim Löw kickt inzwischen nicht mehr in der Bundesliga, sondern verdient sein Geld in einer der großen europäischen Ligen, die der Bundesliga in mancherlei Hinsicht den Rang abgelaufen haben.

Allein der Spielkalender ist in den Ligen unserer Nachbarn umfangreicher als in der deutschen Eliteliga. Das liegt zum einen daran, dass die Top-Ligen in England, Spanien, Italien und Frankreich mit 20 Mannschaften spielen und nicht wie in der Bundesliga mit 18. Zudem pflegen sie eine andere Pokalstruktur. In England beispielsweise gibt es den FA-Cup und den Liga-Pokal, während es in Deutschland nur den DFB-Pokal mit 64 Mannschaften und maximal sechs Spielen bis zum Titel gibt.

Dies erklärt, warum die deutschen Nationalspieler mit extrem unterschiedlich vielen absolvierten Pflichtspielen zur Weltmeisterschaft gefahren sind. Die Differenz zwischen den Heimatvereinen von Mario Gomez (VfB Stuttgart) und Toni Kroos (Real Madrid) betrug in der vergangenen Saison beispielsweise 25 Pflichtspiele. Während der Bundesliga-Aufsteiger aus Stuttgart in der abgelaufenen Spielzeit 37 Mal antreten musste, kam Real Madrid in der Liga sowie dem nationalen Pokal und der Champions League insgesamt 62 Mal zum Einsatz.

Allerdings bedeutet eine hohe Pflichtspielquote der Vereine nicht zwangsläufig, dass die nominierten Spieler auch viele Spielminuten absolviert haben. Marco Reus oder Kevin Trapp zum Beispiel sind aus den verschiedensten Gründen nicht einmal 1.000 Minuten für Borussia Dortmund bzw. Paris St. Germain in der Liga aufgelaufen, obwohl ihre Teams eine hohe Anzahl an Pflichtspielen zu bestreiten hatten.

Winterpause nur in der Bundesliga

Zumindest theoretisch besteht darüber hinaus für einige Spieler die Möglichkeit, in der knappen Winterpause zu regenerieren. Allerdings profitieren von diesem Kurz-Urlaub über die Jahreswende nur die Bundesligaspieler. In den anderen europäischen Ligen wurde in der vergangenen Saison durchgespielt. Teilweise mussten die Profis ihre Fußballschuhe zum ersten Mal während der Weihnachtszeit und über Silvester schnüren. In Italien und Spanien gab es lediglich ein spielfreies Wochenende. In England startet die spielintensivste Phase sogar in einer Zeit, in der die deutschen Kollegen Winterurlaub machen. Hinzu kommen die teils widrigen Witterungsbedingungen, die eine zusätzliche körperliche Belastung darstellen.

Ekstrand et al. und weitere Autoren bestätigen, dass die Gründe für Verletzungen multifaktoriell sind.1,2,3 Entscheidend scheinen zwei generelle Aspekte zu sein: Die Anzahl der Pflichtspiele4 und die der bereits erlittenen Verletzungen.5 Beide Risikofaktoren sind sowohl bei der Nominierung als auch beim Einsatz der Spieler stets zu berücksichtigen. Die deutschen Nationalspieler starten daher mit unterschiedlich hohen Risiken, eine Verletzung zu erleiden, in die Herausforderung Titelverteidigung.

Ob durch eine verkürzte oder gänzlich fehlende Winterpause ein erhöhtes Risiko besteht, eine Verletzung zu erleiden, ist in der Literatur bisher nicht eindeutig geklärt. Es gibt lediglich Untersuchungen zu Verletzungen im europäischen Vergleich bis zur Winterpause.6 Außerdem werden jährlich die Daten aus der prospektiven “Champions League Studie” über den europäischen Dachverband UEFA publiziert.7 Dennoch wird in diversen Arbeiten auf das Verhältnis zwischen chronischer und akuter Belastung hingewiesen, und so könnten sowohl eine zu geringe als auch eine zu hohe Spielbelastung ein erhöhtes Risiko bedingen, sich eine Verletzung zuzuziehen.8,9

Lensch et al. untersuchten die Auswirkungen einer verkürzten Winterpause in Deutschland von 6 auf 3,5 Wochen.1 Hier ließ sich statistisch keine nachweisbare Änderung der Gesamtverletzungsinzidenz feststellen. Es wurden aber höhere Inzidenzen an Trainings- und Knieverletzungen und tendenziell eher schwereren Verletzungen beobachtet. Als Ursachen wurden fehlende Vorbereitungszeiten oder weniger präventiv angelegte Trainingseinheiten oder verkürzte Regenerationszeiten diskutiert.

Premier League als Warnung

Aufgrund der Leistungen der englischen Nationalmannschaft in den vergangenen WM-Turnieren lässt sich die These vertreten, dass die Spieler, die zu 100 Prozent in der Premier League beschäftigt sind, bereits maximal erschöpft zur Weltmeisterschaft anreisen und daher nie die erwartete Leistung bringen. Eigentlich unverständlich für eine Nationalmannschaft, deren Protagonisten sämtlich in der Fußball-Liga aktiv sind, die momentan als beste der Welt gilt.

Ein weiterer, die Weltmeisterschaft sicherlich beeinflussender Aspekt ist die verkürzte Sommerpause im vergangenen Jahr. Einige Nationalspieler von heute waren dabei, als die deutsche Mannschaft vor zwölf Monaten den Confed-Cup gewonnen hat. Der “Preis” dafür war eine im Anschluss daran deutlich verkürzte Erholungsphase. Diese zusätzliche Belastung betrifft im aktuellen WM-Kader zwölf Spieler, die eine maximal intensive Belastungsabfolge durchstehen müssen. Hinzu kommt, dass sogar vier Spieler im Sommer 2016 ebenso keine wirkliche Pause einlegen konnten, da sie damals die Europameisterschaft gespielt haben. Diese Spieler sind vermutlich einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt.

Belastung der bei der WM 2018 aktiven deutschen Nationalspieler:

Name
Ter Stegen,
Draxler,
Hector,
Kimmich
Trapp,
Plattenhardt,
Ginter,
Goretzka,
Süle, Rüdiger,
Rudy, Brandt
Khedira,
Kroos,
Hummels,
Özil, Müller,
Boateng,
Gomez
Werner,
Reus,
Gündogan
Neuer  
Saison 2015/2016
X
X
X
X
X
Europameisterschaft
X
X
X
verkürzte Sommerpause
X
X
X
Saison 2016/2017
X
X
X
X
X
Konföderationen-Pokal
X
X
verkürzte Sommerpause
X
X
Saison 2017/2018
X
X
X
X
Weltmeisterschaft
X
X
X
X
X
verkürzte Sommerpause
X
X
X
X
X

Abb.1: Die deutschen Nationalspieler bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland 2018 und ihre Teilnahme an vorherigen Turnieren und Ligaspielen.

Zusammenfassung

Die Zusammenstellung des Kaders für den Konföderationen-Pokal zeigt, wie vorausschauend Bundestrainer Löw mit seinem Team und seinen Beratern das Unternehmen Titelverteidigung bei der bevorstehenden WM geplant hat. Mit welchem Erfolg, wird sich von Sonntag an erweisen, wenn die DFB-Auswahl mit dem Gruppenspiel gegen Mexiko in das Turnier startet. Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl der vermeintlichen Leistungsträger der kommenden Weltmeisterschaft bewusst beim Confed-Cup geschont wurden, um ohne die beschriebene Spielhäufigkeit (Abb.1) in das bedeutendste Fußball-Turnier zu starten, das Deutschland schon vier Mal (1954, 1974, 1990, 2014) gewonnen hat.

Eine besondere und vielfach diskutierte Personalie im Löw-Team ist die von Torhüter Manuel Neuer. Aufgrund mehrerer Frakturen des Mittelfußes konnte er nur drei Liga-Einsätze und ein Champions-League-Gruppenspiel zu Beginn der Saison für den FC Bayern München bestreiten. Dennoch ist der nach monatelanger Verletzungspause gerade erst genesene Weltmeister und Mannschaftskapitän die unumstrittene Nummer eins im deutschen Tor und genießt das uneingeschränkte Vertrauen des Bundestrainers.

Die Position des Torhüters ist sicherlich eine ganz besondere, wie Liverpools deutscher Keeper Loris Karius im Champions-League-Finale gegen Real Madrid (1:3) unlängst unter Beweis gestellt hat. Teilt man allerdings Neuers Meinung, dass einige Trainingsspiele des FC Bayern intensiver sind als Ligaspiele10, so sollte er trotz der wenigen Pflichtspiele gut auf die WM vorbereitet sein. Selbst die Beobachtungen von Gabbett et al. zur Gefahr einer zu großen Differenz zwischen “chronic und acute load” nach Verletzungen und dem damit einhergehenden Re-Verletzungsrisiko11 scheinen gerade wegen der belastungsintensiven Trainingsspiele und der Besonderheiten der Torhüterposition weniger relevant zu sein.

Andere Spieler im WM-Kader, die zu den vermeintlichen Leistungsträgern zählen, werden – wie beispielsweise Real-Mittelfeldspieler Kroos – ohne Pause und mit einer sehr hohen Anzahl an gespielten Minuten und Pflichtspielen zum Turnier nach Russland reisen. Routine und Spielintelligenz sowie die Fähigkeit, gefährlichen Situationen aus dem Wege zu gehen, sind gerade für diese Spieler unverzichtbar, um das maximal einen Monat lange Turnier verletzungsfrei überstehen zu können.

Überhaupt werden die Spieler bei der Weltmeisterschaft einer Vielzahl unterschiedlicher Verletzungsrisiken ausgesetzt sein. Ein Plus könnte für die DFB-Auswahl dabei sein, dass mehr Bundesliga-Profis im Löw-Team aktiv sind als in jeder anderen Mannschaft in den acht Gruppen mit insgesamt 32 Nationen. Vielleicht ist es ein Vorteil, dass die Protagonisten weniger Spiele absolviert haben und eine (Winter-)Pause im Laufe der vergangenen Saison einlegen konnten. Möglicherweise ist genau das ein Grund für ein verletzungsfreies und erfolgreiches WM-Turnier in Russland.

Über die Autoren

Dr. med. Helge Riepenhof ist im BG Klinikum Hamburg Chefarzt des Zentrums für Rehabilitationsmedizin sowie der sportmedizinischen Abteilung. Der Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin ist darüber hinaus ehemaliger Mannschaftsarzt des AS Rom aus der italienischen Seria A und des BHAFC aus der Premier League. Riepenhof, der sich im Bereich des Sports auf Prävention, Rehabilitation, konservative Traumatologie und Orthopädie sowie Leistungsdiagnostik spezialisiert hat, betreut seit 2007 zudem die deutsche Radsport-Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften auf der Straße und war Mitglied des deutschen Ärzteteams bei den Olympischen Sommerspielen in Peking (2008), London (2012) und Rio de Janeiro (2016).

Jan-Niklas Droste ist Mitarbeiter der Sportmedizin des BG Klinikum Hamburg. Der ehemalige Radsportler leitet die medizinische Abteilung des Radsportteams BORA-Hansgrohe und ist Mitglied im medizinischen Team der NBA Europe Drafts.

Literatur:

  1. Ekstrand J et al. Injury incidence and injury patterns in professional football: The UEFA injury study. British Journal of Sports Medicine 45(7):553-8.
  2. Delecroix B et al. Workload and non-contact injury incidence in elite football players competing in European leagues. Eur J Sport Sci. 2018 Jun 2:1-8.
  3. Pfirmann D et al. Analysis of Injury Incidences in Male Professional Adult and Elite Youth Soccer Players: A Systematic Review. J Athl Train. 2016 May;51(5):410-24.
  4. Mccall A et al. Internal workload and non-contact injury: a one-season study of five teams from the UEFA Elite Club Injury Study. April 2018, British Journal of Sports Medicine, DOI: 10.1136/bjsports-2017-098473.
  5. Riepenhof H et al. Muscle injuries in professional football: Treatment and rehabilitation. Unfallchirurg. 2018 Jun;121(6):441-449.
  6. Riepenhof H et al. Profifußball im europäischen Vergleich – Auswirkungen von Verletzungen. April 2018, DOI: 10.1016/j.orthtr.2018.02.007.
  7. https://www.uefa.com/MultimediaFiles/Download/uefaorg/Medical/02/49/97/62/2499762_DOWNLOAD.pdf.
  8. McCall A et al. Internal workload and non-contact injury: a one-season study of five teams from the UEFA Elite Club Injury Study. Br J Sports Med. 2018 Apr 6. pii: bjsports-2017-098473. doi: 10.1136/bjsports-2017-098473.
  9. Bowen L et al. Accumulated workloads and the acute:chronic workload ratio relate to injury risk in elite youth football players. Br J Sports Med 2017;51:452-459.
  10. https://www.goal.com/de/news/827/bundesliga/2013/03/02/3792275/manuel-neuer-bayern-training-derzeit-anstrengender-als
  11. Gabbett et al. The training-injury prevention paradox: should athletes be training smarter and harder? Br J Sports Med. Published Online First: 12 January 2016.

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