Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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In die Riemen oder Skulls gelegt: Was fordert der Ruder-Sport vom Athleten?

Anfang August gewann Oliver Zeidler bei den Olympischen Spielen in Paris die erste Goldmedaille im Ruder-Einer für Deutschland seit Barcelona 1992. Zuvor hatte der aus einer Rudererfamilie stammende Zeidler bereits drei Weltmeistertitel errungen. Zudem hat vom 18. bis 24. August 2024 die Ruder-Weltmeisterschaft in St. Catharines, Canada stattgefunden, wobei dort die Olympischen Bootsklassen nicht erneut ausgefahren wurden und gerade sind auch die Paralympischen Ruderwettkämpfe in Paris beendet worden, wo neben den Einern auch in 3 Mixed-Booten um Medaillen gerudert wurde.

In diesem Newsletter möchten wir Sie über die Anforderungen und sportmedizinischen Aspekte dieser klassischen Sportart informieren.

Deutschland-Achter, Paris 2024

Rudern

Seit Beginn der Spiele der Neuzeit 1896 ist Rudern olympisch und seit 2008 auch bei den Paralympics vertreten. Die klassische Renndistanz beträgt 2000 Meter. Darüber hinaus finden Masterrennen über 1000 Meter, Langstreckenrennen (im Achter bis zu 20 Kilometer) und Sprintrennen über 500 Meter statt. Es gibt die offenen und die Leichtgewichtsruder-Klassen. Das Wettkampfrudern hat 14 olympische Bootsklassen, das WM-Programm 20. Man unterscheidet zwischen Riemenrudern (einseitig) und Skullen (beidseitig). Eine Neuerung in diesem traditionellen Sport ist das Coastal Rowing welches immer populärer wird.

Anforderungs- und Belastungsprofil

Rudern ist eine klassische Kraftausdauersportart, bei der die Ruderbewegung eine zyklische Beanspruchung der Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur (Druckarbeit) sowie der Arm-, Schulter- und Rückenmuskulatur (Zieharbeit) umfasst. Aus leistungsphysiologischer Sicht gilt es, die Ausdauer und Kraft gleichermaßen zu trainieren und technisch „im Boot“ umzusetzen. Es ist eine der wenigen Ganzkörper belastenden Sportarten. Im Wettkampf erfolgt die Energiebereitstellung zu etwa 80 Prozent aerob, wobei im Leistungssport ebenso eine hohe anaerobe Mobilisationsfähigkeit erforderlich ist und nach Rennen maximale Laktatwerte von 15 bis 20 mmol/l, in Extremfällen sogar darüber hinausgehend, gemessen werden. Erfolgreiche Ruderer benötigen überdurchschnittliche Hebelverhältnisse und sehr gute technische Fertigkeiten, um eine effektive Umsetzung der körperlichen Voraussetzungen im Boot zu ermöglichen.

Rudern gilt als eine sehr trainingsintensive Sportart, 2 bis 3 Trainingseinheiten pro Tag sind der Standard und beanspruchen den Bewegungsapparat immens. 

Verletzungen und Überlastungsschäden

Rudern ist relativ verletzungsarm, Spätfolgen, wenn als Leistungssport über viele Jahre betrieben, sind jedoch häufig. Genauere Untersuchungen gibt es hierzu jedoch noch nicht. Die Verletzungsinzidenz liegt bei 3,6  bis 3,9 pro 1000 Stunden und durchschnittlich 2,2 bis 2,8 Verletzungen pro Athlet über ein Jahr. In den Masterklassen ist die jährliche Verletzungsrate mit 0,48 deutlich geringer.

Die am häufigsten betroffene Körperregion ist die lumbale Wirbelsäule, wobei akute Verletzungen relativ selten sind und Überlastungsschäden deutlich überwiegen.

Dieses zeigen auch die medizinischen Berichte der Olympischen Spiele 2008, 2012, 2016 und 2020, die nur eine Inzidenz von 1,8% bzw. 3,3% für neue traumatische und überlastungsbedingte muskuloskelettale Beschwerden beim Wettkampf oder Training unter den Ruderern*innen beschreiben.

An akuten Verletzungen kommen Fingerquetschungen und -schürfwunden sowie Scheuerstellen an den Waden, am Brustkorb, in der Leiste, in der Gesäßfalte und als  imponierende Blasen häufig an den Händen vor, die als klassische Rudererhände bekannt sind. Beim so genannten „Ruderkrebs“, bei dem das Ruderblatt nach dem Durchziehen nicht aus dem Wasser geführt und mit der Fahrt weiter nach vorne gedrückt wird, sind schwere abdominelle und Thoraxkontusionen mit unter anderem Leber- und Milzquetschungen bis -rupturen sowie Rippenfrakturen möglich. Die schweren Verletzungen werden aber eher durch Stürze am Bootssteg sowie selten auch bei Bootskollisionen mit anderen Ruderbooten oder noch seltener mit Schiffen verursacht. Häufiger sind da noch Verletzungen beim obligatorischen Krafttraining und oder beim Ausgleichstraining. Hier sind das Fußballspielen und das Radtraining sicherlich am als Verletzungsträchtigsten zu nennen.

Die meisten Überlastungsschäden betreffen die Wirbelsäule, den Thorax, die Sehnen der oberen Extremitäten und die Kniegelenke. Am häufigsten treten sie im Bereich der unteren Wirbelsäule auf. Dazu zählen Osteochondrosen, Bandscheibenschäden, Spondylolysen, Radikulopathien und funktionelle Störungen. Ursächlich sind die erheblichen Scherkräfte und Kompressionsbelastungen während der Ruderbewegung. Als besonderer Risikofaktor gelten auch lange Trainingseinheiten auf dem Ruderergometer.

An den Kniegelenke kommen femoropatellare Schmerzen (Patellaspitzensyndrom, retropatellarer Knorpelschaden) und Tractusreizungen vor. Bei Leistenschmerzen können Labrumläsionen bei Ruderern*innen mit Femoroacetabularem Impingement (FAI) auftreten.

An den oberen Extremitäten finden sich Tendinitiden der Handextensoren („rower`s wrist“), Rotatorenmanschettenreizungen, laterale Epikondylopathien, Tendovagintis de Quervain sowie selten ein Karpaltunnel- oder ein funktionelles Kompartmentsyndrom.

Schmerzhafte Muskelverhärtungen sind meist durch einseitige Dauerbelastungen, falsche Grifftechnik und falsche Stemmbrettwinkel bedingt. Bei knöchernen Thoraxbeschwerden muss an Ermüdungsfrakturen der Rippen gedacht werden. Gerade bei jungen Sportlerinnen gelten als Risikofaktoren von Stressfrakturen eine reduzierte Knochendichte, Menstruations- und Essstörungen sowie Muskelschwäche. Selten werden Stressfrakturen im Bereich des Schlüsselbeins, der Elle, der Mittelhandknochen sowie an Schien- und Wadenbein beobachtet. Andere seltene Ursachen für Brustschmerzen sind Avulsionsverletzungen des M. serratus anterior, intercostale Muskelläsionen sowie costovertebrale Subluxationen oder Costochondritiden.

Aber auch Erkrankungen machen einen großen Anteil der Vorstellungen in der klinischen Sprechstunde aus, insbesondere akute Atemwegserkrankungen, welche unter anderem auf die hohen Trainingsumfänge bei zum Teil schwierigen Wetterbedingungen zurückzuführen sind.

 

Therapie- und Präventionsmaßnahmen

Akute Verletzungen und Beschwerden benötigen meist eine Rudereinschränkung oder -unterbrechung. Wirbelsäulenbeschwerden sollten frühzeitig erkannt und zunächst mittels konservativer physikalischer sowie manual- und physiotherapeutischer Maßnahmen behandelt werden.

Stressfrakturen erfordern eine 6- bis 10-wöchige Ruderpause, kurzfristige NSAR-Gabe, physikalische Maßnahmen und Ausgleichstraining. Betroffene Sportler*innen sollten die Knochendichte mittels DXA, die Knochenstoffwechselparameter und den Hormonhaushalt abklären lassen.

Auch die aufgeführten Knie-, Schulter- und Handgelenksprobleme werden durch kurzzeitige NSAR-Gabe, physikalisch-physiotherapeutische Therapien und lokale oder intraartikuläre Infiltrationen behandelt, wobei diese immer unter Berücksichtigung der aktuellen Antidopingrichtlinien erfolgen müssen.

Daneben sind die Einhaltung von Hygienemaßnahmen (Händedesinfektionen, Abstand, eventuell Mund-Nasenmaske und Isolierung von Erkrankten im Einzelzimmer) bei akuten Atemwegs- und Magendarmerkrankungen von großer Bedeutung.

Die Prävention von Schürf- und Scheuerstellen erfordert regelmäßige Pflege der Reibungsflächen an Händen und Gesäß mit langsamer Gewöhnung an höhere Belastungsumfänge. Zur Vorbeugung der genannten Überlastungsschäden sind Kräftigungs- und Stretchingübungen insbesondere der Rumpfstabilisatoren, Schulung der Koordination und Flexibilität sowie eine gute Rudertechnik wichtig.

Neben regelmäßigen klinisch-funktionellen Untersuchungen können Risikofaktoren für Verletzungen auch durch biomechanische Analysen der Ruderbewegung mit kinetischen und kinematischen Messungen des Rumpfes sowie der Becken-, Hüft-, Fuß- und Schultergelenke erkannt und präventiv verbessert werden. Insbesondere beim Leichtgewichtsrudern ist auch eine gezielte Ernährungsberatung sinnvoll. Im Rahmen der Professionalisierung rückt dies auch in Anbetracht der passiven und aktiven Erholung immer mehr in den Fokus.

Fotos: Empacher Bootswerften / www.empacher.com

Tipps für Athleten und betreuende Sportärzte

Die genaue Kenntnis der sportartspezifischen Bewegungsabläufe und Belastungsprofile ist zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung sowohl von orthopädischen als auch internistischen Problemen wichtig. Dabei spielt die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arzt, Physiotherapeut, Biomechaniker, Trainer und Athlet*in eine große Rolle.

Wichtig sind die Sensibilisierung bezüglich der Risikofaktoren und frühen Anzeichen von Verletzungen und Erkrankungen sowie deren Präventionsmöglichkeiten. Regelmäßige sportmedizinische Gesundheitsuntersuchungen einschließlich biomechanischer Analysen und Leistungsdiagnostik spielen eine Rolle. Die Korrektur von muskulären Insuffizienzen und Dysbalancen, die Vermeidung von zu intensiven Belastungssteigerungen wie z.B. plötzliche lange Ergometereinheiten, eine gute Rudertechnik, wettergerechte Kleidung und Bootsbegleitung in sehr kalten Gewässern sind unbedingt zu umzusetzen. Ebenso die eigentlichen Selbstverständlichkeiten wie die Benutzung der eigenen Trinkflasche zur Infektvorbeugung und die individuelle Ernährungsberatung.

Bei der Vorsorgeuntersuchung soll auf relative Kontraindikationen zum Leistungssport Rudern geachtet werden. Hierzu zählen eine signifikante Spondylolisthesis ab Grad II, bekannte Bandscheibenschäden, ein florider M. Scheuermann sowie eine femoropatellare Knorpelschädigung, wobei sich bei individueller Betreuung auch im Hochleistungsrudern erfolgreiche Athleten*innen mit den genannten orthopädischen Pathologien finden. Aus internistisch-kardiologischer Sicht gelten dieselben Kontraindikationen wie bei anderen konditionell ähnlich anspruchsvollen Sportarten.

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Die Autoren:

Dr. med. Christian Nührenbörger, Chef du Service de Médecine du Sport et de Prévention, Clinique du Sport – Centre Hospitalier de Luxembourg, ist Beirats-Mitglied der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin und ehemaliger Kaderarzt des Deutschen Ruderverbandes

Dr. med. Sebastian Thormann, Orthopäde und Traumatologe sowie Sportmediziner in der Ruderhochburg Luzern, ist ehemaliger erfolgreicher Ruderer, u.a. Weltmeister im Vierer ohne Steuermann 2002 in Sevilla, und ehrenamtlicher Mitarbeiter der NADA