Sehr geehrte Damen und Herren,
die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro waren außergewöhnlich – aber nicht nur im positiven Sinne. Der teilweise Doping-Ausschluss russischer Athleten überschattete die weltweit größte Sportveranstaltung schon vor der Eröffnungsfeier; und auch die Umwelt-Bedingungen, insbesondere bei den Wassersportarten, sorgten für Gesprächsstoff. Über ihre Arbeit im medizinischen Zentrum und die nach ausgiebiger Auswertung angezeigten Konsequenzen berichten der Leitende Olympia-Arzt, Prof. Bernd Wolfarth, und sein Stellvertreter, der Leitende Orthopäde, Dr. Casper Grim. Der GOTS-Newsletter zeigt aber auch, wie die Olympia-Ärzte das Zika-Virus in den Griff bekamen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org
Der 32. Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) findet vom 22. bis 24. Juni 2017 im Grand Hotel Esplanade in Berlin statt. Noch bis zum 1. Dezember 2016 können Sie einen Beitrag zum wissenschaftlichen Programm leisten und ein Abstract über die Kongresswebsite www.gots-kongress.org einreichen. Der beste Vortrag sowie die drei besten Poster werden jeweils mit einem Preis und einer Geldprämie ausgezeichnet. Interdisziplinäre Workshops und ein eigenes Programm der Young Academy erwarten Sie am PreDay (22. Juni 2017), zu dem Kongresspräsident PD Dr. Oliver Miltner und Kongresssekretär Dr. Michael Krüger-Franke gleichfalls herzlich einladen.
Wir möchten Sie zudem auf drei Veranstaltungen hinweisen: Die 32. Sportärztewoche vom 04. bis 09. Dezember 2016 in Kaprun, die unter dem Motto „Bewegung als Medizin“ steht (www.sportaerztewoche.com). Das 15. Sporttraumatologische Symposium findet unter dem Titel „Sports-Trauma-Update“ am 10. Dezember 2016 in Stuttgart statt (www.sportklinik-stuttgart.de). Um das Thema „Hallux Valgus und Plattfuß“ geht es bei der Wintertagung der Österreichischen Gesellschaft für Fußchirurgie (ÖFG) am 25. November 2016 im Tagungszentrum Schönbrunn in Wien (www.fussgesellschaft.at/2016_wintertagung).
Sportmedizinische Betreuung bei den Olympischen Spielen in Rio 2016
Nur zwei Jahre nach der Fußball-Weltmeisterschaft war Brasilien vom 5. bis zum 21. August 2016 Schauplatz der weltweit größten Sportveranstaltung. Die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro stellten die Metropolregion an der Copa Cabana abermals vor eine große Herausforderung. Während mehr als 11.000 Athleten aus 206 Nationen in 28 Sportarten um die Medaillen kämpften, standen der teilweise Doping-Ausschluss russischer Athleten, aber auch die insbesondere in den Wassersportarten desolaten Umweltbedingungen im Fokus.
Die medizinische Versorgung
Für die sportmedizinische Betreuung der deutschen Olympia-Mannschaft sorgten in Rio 24 Ärzte/-innen (14 Orthopäden, 4 Internisten, 5 Allgemeinmediziner, 1 Dermatologe), 43 Physiotherapeuten/-innen und 4 Sportpsychologen/-innen. Leitender Arzt war Prof. Dr. Bernd Wolfarth (Berlin/Leipzig), sein Stellvertreter und Leitender Orthopäde war Dr. Casper Grim (Osnabrück). Klaus Eder (Donaustauf) fungierte als Leitender Physiotherapeut. Als Koordinator zwischen Sport und Medizin hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Olav Spahl entsandt, der zudem die Aufgaben des Anti-Doping-Beauftragten übernommen hat.
Abb.1: Prof. Bernd Wolfarth (knieend/rotes Hemd) und Dr. Casper Grim (knieend rechts) und das medizinische Team.
Die medizinische Zentrale
Die deutsche Mannschaft war fast komplett in einem Hochhaus-Komplex im Olympic Village untergebracht (Abb.2). Dort war auch die medizinische Zentrale. Die ärztliche und physiotherapeutische Versorgung war im Zwei-Schicht-System zwischen 8 und 20 Uhr (teilweise sogar bis 23 Uhr) sichergestellt. In der Nacht bestand Rufbereitschaft, sodass während der gesamten Olympischen Spiele eine „Rund-um-die-Uhr-Versorgung“ gewährleistet war. Dabei bewährte sich die in der medizinischen Zentrale schon von vorangegangenen Spielen bekannte Kombination aus allgemeinmedizinischer Praxis und physiotherapeutischer Behandlungseinrichtung.
Die Zentrale war mit den notwendigen Geräten für die Basisdiagnostik und -therapie ausgestattet. So konnten beispielsweise EKG- und Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden. Für die Behandlung standen unter anderem Inhalations-, Elektro- und Ultraschallgeräte zur Verfügung. Für die zentrale Apotheke wurde ein ausreichendes Spektrum deutscher Standardarzneimittel mitgeführt. Somit war gewährleistet, dass die Ärzte in der Zentrale und auch die Mannschaftsärzte an den Wettkampfstätten die notwendigen Behandlungen mit den aus Deutschland bekannten Präparaten durchführen konnten.
Im Vergleich zu anderen internationalen Wettbewerben war bei den Athleten kein erhöhter Bedarf an Medikamenten erkennbar. Das Umfeld (Betreuer, Funktionäre etc.) hatte dagegen einen deutlich erhöhten Anspruch an die allgemeine medizinische Versorgung. Eine kombinierte dezentrale Medikamenten-Basisversorgung (Mannschaftsärzte) bei zentral erweiterter Ausstattung (im Sinne einer Backup-Apotheke) hat sich als bewährtes Konzept über die letzten Jahre etabliert und wurde in der Form auch in Rio umgesetzt.
Neben der medizinischen Zentrale im deutschen Hochhaus gab es im Olympic Village zusätzlich eine Poliklinik mit Notfallambulanz, Zahnarztpraxis und Fachambulanzen (Augenheilkunde, HNO, Gynäkologie). Die Poliklinik war 24 Stunden am Tag besetzt und verfügte über Röntgen, Ultraschall, 2 MRT (1,5 und 3 Tesla) und über ein Labor. Die Ausstattung entsprach vollends den Vorgaben und Standards des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Abb.2: In diesem Hochhaus im olympischen Dorf wohnten die deutschen Athleten.
Verletzungen und Erkrankungen
Das Team um Prof. Wolfarth und Dr. Grim konnte auch bei diesen Olympischen Spielen auf ein bewährtes, EDV-gestütztes Dokumentationssystem für die Untersuchungs- und Behandlungsfälle zurückgreifen. Die Behandlungsfälle der medizinischen Zentrale konnten hierüber zuverlässig und lückenlos erfasst werden. Auch die betreuenden Mannschaftsärzte dokumentierten Behandlungen in den jeweiligen Team-Quartieren oder an den Trainings- und Wettkampfstätten.
Im Vergleich zu vorhergehenden Spielen wurde sicherlich deutlich konsequenter dokumentiert, wobei grundsätzlich eine noch konsequentere Umsetzung der Dokumentationspflicht durchgesetzt werden muss. Dies nicht zuletzt um möglichst zuverlässige und belastbare Daten zu erhalten. Insgesamt wurden 808 Behandlungen durchgeführt. Von diesen Behandlungen entfielen 528 auf Athleten und 280 auf Betreuer (Tab.1).
Tab.1: Anzahl der Behandlungen.
Eine Auflistung der unterschiedlichen Krankheitsbilder ist in Tab. 2 abgebildet. Der Großteil der orthopädischen Erkrankungen entfällt bezüglich der Lokalisation auf die untere Extremität.
Tab.2: Klassifikation der Krankheitsbilder.
Tab.3: Lokalisation der orthopädischen Erkrankungen.
Zusammenfassung der schwereren Verletzungen
Neben den meist üblichen, weniger schwerwiegenden Problemen – wie beispielsweise kleine Wundversorgungen, Prellungen und Distorsionen etc. – sind aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht während der Olympischen Spiele in Rio auch einige schwere Verletzungen aufgetreten. Besonders tragisch war der Tod eines Trainers, der nach einem Verkehrsunfall (als Fahrgast in einem Taxi) an den Folgen seiner schwersten Schädel-Hirn-Verletzungen gestorben ist.
Schwerere Verletzungen mit teils relevanter Ausfallzeit:
- akutes Oberschenkel-Kompartment
- VKB-Ruptur mit Innenmeniskusläsion und antero-laterale Instabilität
- VKB Ruptur
- Basisnahe Stressfraktur des 3. Mittelfußknochens
- laterale Band-Kapsel-Ruptur OSG
- Schultereckgelenkssprengung
- infizierte Bursa präpatellaris
(Das Schädel-Hirn-Trauma, das Oberschenkel-Kompartment und die infizierte Bursa präpatellaris wurden vor Ort in einem affiliierten Krankenhaus operativ versorgt.)
Das Zika-Virus und die Gefahren
Die möglichen Gefahren bei einer Infektion mit dem Zika-Virus infolge eines Mückenstichs kursierten im Vorfeld der Olympischen Spiele und wurden massiv wie kontrovers diskutiert. Den Athleten und Betreuern wurden von Seiten des DOSB und des IOC entsprechende Informationen zur Verfügung gestellt. Sie haben für Reisen in Zika-Gebiete nach wie vor Gültigkeit.
Auszug aus dem Infoschreiben für die deutsche Olympia-Mannschaft:
Entsprechend der Erwartungen ist im Wechsel der Jahreszeiten jeweils ein deutlicher Rückgang der Infektionen mit dem Zika-Virus festzustellen. Im Januar 2016 wurden in Brasilien pro Woche noch 15.000 Neuinfektionen gemeldet. Diese Zahlen gingen bereits Anfang Mai 2016 auf unter 500 Neuinfektionen pro Woche zurück (www.sueddeutsche.de/wissen/zika-virus-die-muecken-von-rio-1.3033336) und bis August 2016 wurde auf Grund der jahreszeitlichen Entwicklung mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Konkrete Zahlen und Untersuchungen zu Zika in Rio de Janeiro fehlen.
Nichtsdestotrotz hat sich der Verdacht erhärtet, dass es einen Zusammenhang zwischen Zika-Virus-Infektionen und dem Auftreten von Mikrozephalien (Schädelfehlbildungen) bei Neugeborenen gibt. Analog zur WHO wurde daher ebenfalls den Rückkehrern aus den betroffenen Gebieten geraten, mindestens acht Wochen lang auf ungeschützten Geschlechtsverkehr zu verzichten, da der Erreger auch durch Geschlechtsverkehr übertragen werden kann. Bei manifester Erkrankung (Hautrötung, Fieber, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen oder Entzündung der Bindehaut) sollten Männer sechs Monate lang auf ungeschützten Geschlechtsverkehr verzichten.
Weiterhin gilt, dass der Krankheitsverlauf der bisherigen Fälle – insbesondere bei ansonsten gesunden Personen (zu denen in der Regel unsere Leistungssportler und Betreuer zählen) – eher milde verläuft beziehungsweise zum großen Teil keine klinischen Symptome zeigt. Falls es zu klinisch relevanten Infektionen kommt, so entsprechen diese eher einem grippalen Infekt und führen in den seltensten Fällen zu längeren, infektbedingten Ausfällen.
Bei dieser Viruserkrankung besteht nur eine symptomorientierte Behandlungsoption. Die Inkubationszeit (Zeit bis zum Auftreten der Symptome) beträgt ca. 3-10 Tage nach dem Stich einer Mücke der Aedes-Gattung, die das Virus von Mensch zu Mensch überträgt. Im Olympischen Dorf selbst spielte die Mückenproblematik eine völlig untergeordnete Rolle. Zweimal am Tag führ das sogenannte „Fumigation Car“ (Abb. 3) durch das Dorf und versprühte Insektizide. Dies geschah in Analogie zum Procedere in vielen Hotel- und Ferienanlagen in tropischen Gebieten.
Abb.3: Fumigation Car im Kampf gegen die „Zika-Mücken“ im olympischen Dorf.
Bei den verbliebenen Mücken hat der Leitende Olympia-Arzt persönlich Hand angelegt (Abb.4). Insgesamt war die Mückenbelastung aber gering und spielte eine untergeordnete Rolle in der medizinischen Versorgung. Dennoch ist die Zika-Problematik weiterhin als relevant anzusehen. Nicht zuletzt, weil auch im kommenden Frühjahr und Sommer Wettkämpfe und/oder Trainingslager in Zika-Gebieten stattfinden werden. Jüngst hat es bei einem Wettkampf in Mexiko einen Zika-Fall innerhalb der deutschen Mannschaft gegeben. Vorsicht ist folglich nach wie vor anzuraten.
Abb.4: Die vermutlich letzte Mücke „erlegte“ Prof. Bernd Wolfarth händisch.
Über die Autoren:
Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth war Leitender Olympia-Arzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bei den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro. Er ist Ordinarius für Sportmedizin an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet die Abteilung Sportmedizin der Charité Universitätsmedizin Berlin sowie den Fachbereich Sportmedizin am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig. Wolfarth ist Leitender Verbandsarzt des Deutschen Skiverbandes und Leitender Disziplinarzt der deutschen Biathlon-Nationalmannschaft. Zudem ist er Vorsitzender der medizinischen Kommission des DOSB und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP).
Dr. med. Casper Grim war bei den Olympischen Sommerspielen in Rio 2016 Leitender Orthopäde und Stellvertreter von Prof. Wolfarth. Grim ist Leitender Oberarzt an der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie in Osnabrück sowie Leitender Verbandsarzt der Deutschen Triathlon Union (DTU) und Verbandsarzt beim Deutschen Ringer Bund (DRB). Zudem war er bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur 2010 und Nanjing/China 2014 sowie bei den World Games in Kaohsiung/Taiwan 2009 und Cali/Kolumbien 2013 Leitender Arzt der deutschen Mannschaft.