Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Radsportbetreuung aus orthopädischer und traumatologischer Sicht

GOTS – Newsletter vom 10.07.2009

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Tour de France zieht derzeit das Interesse der Medien auf sich – auch aus medizinischer Sicht. Abseits aller wichtigen Diskussionen um die Dopingproblematik im Radsport widmet sich dieser Newsletter dem orthopädisch-traumatologischen Aspekten dieser Sportart.

Alle Beiträge dieses Newsletters sind zur Veröffentlichung freigegeben.

Mit freundlichem Gruß,
Frank Wechsel, GOTS-Pressesprecher

Radsportbetreuung aus orthopädischer und traumatologischer Sicht

Das berühmteste Etappen-Radrennen der Welt ist wieder in vollem Gange. Nach der Fußball-Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen gilt die Tour de France als drittgrößtes Sportereignis weltweit. Dieses Jahr haben sich rund 180 Fahrer auf die 21 Etappen mit insgesamt 3.459,5 zu bewältigenden Kilometern quer durch Frankreich begeben – da bleibt der ein oder andere Sturz natürlich nicht aus. Die orthopädische Betreuung des Profiradsportlers erfordert Kenntnisse bezüglich spezifischer Überlastungsbeschwerden und Verletzungsarten sowie deren Behandlung.

Auch wenn bei hochkarätig besetzten Profirennen die Frequenz der Stürze niedriger ist als bei Amateurrennen, so kommt es doch jedes Jahr zu vielen, teils spektakulären Unfällen. Diese geschehen meist in der Mitte oder am Ende des Feldes durch Ausweichmanöver oder Fahrfehler. Bei engerem Fahren sind oft mehrere Athleten betroffen, aber auch jubelnde Fans und sonstige Hindernisse wie Hunde, Verkehrsinseln oder Polizisten haben schon für Stürze gesorgt. Durch das meist deutlich höhere Tempo im Profifeld sind die Verletzungen anteilig zu den Gesamtverletzungen bei Radfahrern schwerwiegender.

Häufig betroffen: die Haut
„Kleinere“ Schürfwunden führen selten zum Ausstieg aus dem Rennen eines Fahrers. Meist erfolgt die Versorgung während der Fahrt aus dem Begleitfahrzeug oder dem Tourarztwagen heraus. Aber auch schwerere Hautablederungen oder sogenannte Schmutztätowierungen kommen vor, die eine chirurgische Wundversorgung erfordern. Generell erfolgt dieselbe Versorgung wie auch im normalen Klinikalltag mit Desinfektion, Wundreinigung und gegebenenfalls Naht sowie Verband mit nicht-klebenden Verbandsmaterialen wie beispielsweise imprägnierter Wundgaze oder Silikon-Wundauflagen sowie Fixierung, die die Bewegung nicht einschränkt, zum Beispiel mit einem Schlauchverband.

Viele Knochenbrüche, wenige Todesfälle
So wie Andreas Klöden 2007 mit einer Steißbeinfraktur ins Ziel fuhr, bringen viele Fahrer gerade bei der Tour de France die Etappe oder sogar die gesamte Rundfahrt auch noch mit einem Knochenbruch zu Ende. Frakturen sollten aber immer ruhig gestellt, gegebenenfalls reponiert und offene Frakturen steril abgedeckt werden. Die weitere Abklärung und Versorgung muss dann in der Klinik erfolgen.

Die Frakturversorgung und Therapie sonstiger Verletzungen des Bewegungsapparats erfolgt prinzipiell nach den bekannten differenzierten Klassifikationen. Operationsindikationen werden – in Absprache mit dem Athleten und seinem Betreuerteam – jedoch oft aggressiver gestellt, um eine möglichst schnelle Rehabilitation mit rascher, schmerzarmer Wiederaufnahme des Trainings und Wettkampfs zu erzielen. Bei schwereren Unfällen sollten die Abläufe entsprechend der Notfallmedizin und dem Schockraummanagement durchgeführt werden. Dabei ist in der Akutsituation das Wohl des Sportle rs der Einhaltung der Anti-Doping-Richtlinien überzuordnen. In der über 100-jährigen Geschichte der Tour de France kam es glücklicherweise nur selten zu Todesfällen, insgesamt starben seit 1903 acht Fahrer.

Schlüsselbeinbruch = klassische Radsturzfolge
Mit 42 bis 64 Prozent betreffen die häufigsten Verletzungen bei Radfahrern den Schultergürtel und die Arme. Durch direkte Stürze auf die Seite kommt es klassischerweise zu Schlüsselbeinbrüchen und Verletzungen des Akromioklavikulargelenks. In der Sportklinik Stuttgart versorgen wir Klavikulaschaftfrakturen mit einer winkelstabilisierenden Platte, die normalerweise innerhalb einiger Tage zur Schmerzfreiheit führt und eine schnelle Wiederaufnahme des Radsports ermöglicht. Bei höhergradigen Akromioklavikulargelenk-Dislokationen (Rockwood 3-5) führen wir die transossäre ACG-Stabilisierung mittels Tight-Rope kombiniert mit direkter Bandnaht in so genannter Mini-open-Technik durch. Eine Metallentfernung ist hierbei nicht mehr erforderlich. Berühmtestes Beispiel für eine Klavikulafraktur im Profiradsport ist wohl die Klavikulamehrfragmentfraktur von Lance Armstrong, die er sich bei der diesjährigen Vuelta a Castilla y León zugezogen hatte.
Frakturen des Ellenbogens, des distalen Unterarms oder der Handwurzel werden vor allem dann beobachtet, wenn der Fahrer noch reagieren kann und die Hand vom Lenker nimmt, um sich abzufangen.

Helme senken Verletzungsrisiko
In 20 bis 24 Prozent aller Verletzungen im Radsport sind die unteren Extremitäten betroffen. Hierbei kommt es vor allem zu Verletzungen des Beckens sowie des proximalen Oberschenkelknochens. Unvergessen in diesem Zusammenhang ist wohl die Szene der Tour 2003, als Joseba Beloki in rasender Abfahrt auf einem Teerflicken wegrutscht und sich hierbei den Schenkelhals bricht, während Lance Armstrong ausweicht und mitten durchs Gelände die Serpentine „abkürzt“.

Schädel-Hirn-Verletzungen fallen dank der Einführung der Helmpflicht durch die UCI im Jahr 2004 weniger dramatisch aus, Mittelgesichtsfrakturen lassen sich durch Helme jedoch nicht verhindern. Im Thorax- und Rumpfbereich kommt es des Öfteren zu gebrochenen Rippen.

Jede Etappe stellt andere Anforderungen
Neben akuten Verletzungen zeigen sich gerade bei mehrwöchigen Etappenrennen mit nur wenigen und kurzen Erholungsphasen vermehrt Beschwerden aufgrund von Fehl- und Überbelastungen. Die unterschiedlichen Etappentypen stellen zudem verschiedenste Anforderungen an die Fahrer und deren Bewegungsapparat: Zeitfahr-Etappen, die der idealen Aerodynamik wegen in völlig anderer Sitzposition gefahren werden, führen eher zur Hyperlordose der Halswirbelsäule mit entsprechenden Beschwerden, während lange Bergetappen durch den Wiegetritt und den vermehrten Zug am Lenker zur stärkeren Beanspruchung der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie der stützenden paravertebralen Muskeln führen. Auf langen flachen Etappen kann es durch die „monotone“ Abstützarbeit am Lenker zu Kompressionssyndromen, vor allem in der Loge de Guyon als Kompressionssyndrom des Nervus ulnaris kommen.

Effektive Vorbeugungsmaßnahmen
Durch die Extremhaltung auf dem Rad sind auch Muskelverhärtungen und -verkürzungen sowie Ansatztendinopathien an den unteren Extremitäten keine Seltenheit. Solche Überlastungsschäden sind klassischerweise die Domäne der konservativen physikalischen Medizin mit Massagen, Friktionen, Elektrotherapie und Dehnung, antiphlogistischen Salbenverbänden sowie NSAR. Gerade bei mehrtägigen oder mehrwöchigen Rennen ist eine konsequente Physiotherapie und Massage nach jeder Etappe zur idealen Erholung der Muskulatur und des Bandapparates von größter Bedeutung.

Spezielle Anpassungen der Materialien am Rad, zum Beispiel Lenkerbänder mit Gelpads, und des Zusatzequipments wie Handschuhe und Schuhe können dazu beitragen, Überlastungsbeschwerden zu reduzieren oder zu verhindern. Seit langem gilt sowohl für Radfahrer im Profi- als auch im Hobbybereich, dass zusätzlich zum sportartspezifischen Training ein ausgeglichenes Ganzköpertraining durchgeführt werden sollte, um zum Beispiel auch die Rumpfmuskulatur zu stärken. Zeitlich eignet sich für ein solches spezifisches Muskelaufbautraining vor allem die radtrainingsfreie Winterzeit.

Autoren: Dr. med. Christian Schoch, Dr. med. D. Wagner, Prof. Dr. med. habil Gerhard Bauer aus der Sportklinik Stuttgart, Taubenheimstr 8, 70372 Stuttgart

Symposium zur WM 2009: Leichtathletik als Hochleistungssport unter medizinischen Aspekten

Die Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) richtet unter der Leitung ihres Präsidenten Prof. Dr. Holger Schmitt (Heidelberg) am Tag vor Eröffnung der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin ein Symposium für Ärzte und Physiotherapeuten aus. Am Freitag, 14. August 2009, geht es im Athletenhotel Estrel Convention Center in Berlin von 15 bis 20 Uhr um die orthopädischen und sporttraumatologischen Aspekte verschiedener Leichtathletikdisziplinen. Den Vorsitz der beiden Sitzungen haben Holger Schmitt und Wilfried Kindermann sowie Michael Krüger-Franke und Martin Engelhardt.

Die Fortbildung ist von der Ärztekammer Berlin mit 5 Punkten zertifiziert. Für Presseakkreditierungen wenden Sie sich bitte an gots-presse@spomedis.de.

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