Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Vom Startbügel in den Eiskanal: Rennrodeln

52. FIL Rodel-Weltmeisterschaft 22.-28.01.2024 in Altenberg/Sachsen

©Heilwagen

Seit 1964 ist der Rennschlittensport olympisch. Seither haben deutsche Athleten in allen Disziplinen dieser Sportart wie in kaum einer anderen dominiert. Diese Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Rennrodeln von nur etwa 1.000 aktive Athleten derzeit auf drei von vier Kunsteisbahnen in Oberhof, Winterberg, Berchtesgaden (defekt nach Wasserschaden) und Altenberg ausgeführt wird – letzte dieses Jahr als Austragungsort der WM.

Sportartspezifisches Leistungsprofil

Ausgetragen wird die Sportart in folgenden Disziplinen: Damen-Einsitzer, Herren-Einsitzer, Herren-Doppelsitzer sowie die Teamstaffel – Damen-Doppelsitzer bisher bei den Youth Olympic Games 2020. Dieser Beitrag bezieht sich ausschließlich auf die Kunst(eis)bahnen.

Auf den für Herren 1.000 bis 1.200 m und für Damen 800 bis 1.000 m langen Eiskanälen werden Geschwindigkeiten bis 140 km/h erreicht, was in den Steilkurven zu einer Fliehkraftbelastung von bis zu 6 g führen kann. Da der Kopf die Schale des Schlittens nach hinten frei überragt, wirkt sich diese Belastung besonders auf die Halswirbelsäule (HWS) aus.

Darüber hinaus kommt es beim Startvorgang durch den explosiven Abzug vom Startbügel zu ­ex­tremen Zugbelastungen der Schulter- und Schultereckgelenke. Die für die Gesamtlaufzeit substanziell notwendig gute Startzeit resultiert daneben aus dem ebenfalls explosionsartigen Übergang der in Vorspannung extrem kyphosierten Lendenwirbelsäule (LWS) in die Hyperlordose. Diese Belastungen dürfen nur Athleten zugemutet werden, die die sportartspezifische Technik beherrschen und über eine perfekt stabilisierende Muskulatur verfügen.

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Ausrüstung

Die Rennschlitten wiegen für Damen und Herren minimal 21 kg bis maximal 25 kg, für Doppelsitzer minimal 25 kg bis maximal 30 kg. Um gewichtsbedingte Vor- und Nachteile zu reduzieren, ist ein individueller Gewichtsausgleich durch am Körper getragenes Zusatzgewicht (z. B. Blei) erlaubt. Die Rodler tragen textile Rennanzüge, Handschuhe mit Spikes an den Fingerkuppen, knöchelhohe Rennschuhe in leichter Spitzfußstellung und einen genormten Schutzheim mit Visier.

Jede Art stabilisierender Verbände ist im Rennen verboten; Protektoren zum Schutz der Arme, Beine und Füße sind zwar erlaubt, werden aber wegen des dadurch verursachten höheren Luftwiderstands (der die Laufzeit essenziell negativ beeinflusst) überwiegend nur im Training getragen.

Unfallmechanismen

Im Eiskanal: Durch Touchieren der Bahnwände bei hoher Geschwindigkeit kommt es gehäuft zu schweren Prellungen; verschlimmert werden die Unfallfolgen durch Unebenheiten an den Wänden des Eiskanals. Sehr viel problematischer sind die Stürze im Eiskanal, die nahezu ausnahmslos auf Fahrfehler zurückzuführen sind.

Außerhalb des Eiskanals:  Im Rahmen des Koordinationstrainings nimmt das Hallenfußballspiel einen gewichtigen Platz ein; entsprechend häufig treten bei den Rennrodlern fußballtypische Verletzungen auf. Gleiches gilt für die Trainingsbausteine Volleyball, Basketball, Joggen und Radfahren.

Verletzungsmuster beim Rennrodeln

Im Eiskanal: Durch das Anfahren der Eiskanalwände kommt es zu sehr schmerzhaften Prellungen an der Außenseite der oberen und unteren Extremitäten, die meist mit großflächigen Hämatomen, teilweise aber auch mit Brandwunden ähnlichen Hautdefekten verbunden sind. Daneben sind immer wieder Frakturen der Mittelfußknochen V zu beobachten, die wegen ihrer Häufigkeit als sportartspezifisch einzustufen sind und rasch mittels Osteosynthese versorgt werden.

Bei Stürzen in der Bahn kommt es neben schweren Prellungen (Kopf, HWS, Arme und Beine) auch zu Frakturen der Extremitäten, wobei sich hier kein sportartspezifisches Muster herauskristallisiert. Zu Frakturen im Bereich der Wirbelsäule kommt es vor allem an der Brustwirbelsäule (BWS), aber auch an der LWS. Da sie teils instabil sind, müssen sie – auch und gerade im Bereich der BWS – osteosynthetisch stabilisiert werden. Sehr selten kann es dadurch zu Querschnittssyndromen kommen, von denen die deutschen Rennrodler aber bisher weitestgehend verschont geblieben sind.

Gerade am Anfang der Eis-Saison werden Symptome wie bei einer Concussion beklagt, die nicht auf direkte Anpralltraumen, sondern eher auf die veränderte Statik und Haltefähigkeit der HWS auf dem Schlitten zurückzuführen ist. Bei den seltenen Schädel-Hirn-Traumen kann der vorgeschriebene genormte Schutzhelm meist das Schlimmste verhindern. Todesfälle gehören zu den absoluten Ausnahmen.

Außerhalb des Eiskanals: Die Verletzungen außerhalb des Eiskanals sind nicht sportartspezifisch. In erster Linie handelt es sich um Sprunggelenkverletzungen bei Spielsportarten in der Halle.

Überlastungsschäden

Sportartspezifische Überlastungsschäden werden vor allem durch die extremen Zugkräfte beim Start sowie die Fliehkraftbelastung in den Steilkurven des Eiskanals verursacht.

Schulter und Schultereckgelenk

Beim Startvorgang kommt es durch das kraftvolle Anreißen an den Startbügeln mit den anschließenden „Paddel-Schlägen“ zu einer extremen Belastung der Schulter und Schultereckgelenke. Dies führt gehäuft zu Impingement-Syndromen, Rupturen der Rotatorenmanschette sowie Arthrosen im Schultereckgelenk.

Speziell durch die Akromioklavikulargelenk-Arthrosen wird ein kraftvolles Starten substanziell behindert, sodass hier als Therapie der Wahl nur eine rasche Resektionsarthroplastik in Frage kommt.

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Lendenwirbelsäule

Zu einem perfekten Startvorgang gehört auch die extreme Vorspannung der LWS in Hyperkyphosierung mit anschließend blitzschnellem und kraftvollem Aufrichten. Darin und durch falsche Technik beim Langhanteltraining im Kraftraum ist die Ursache zu suchen, dass bei den Kaderathleten mehrfach operationspflichtige Bandscheibenvorfälle im lumbosakralen Übergangsbereich beobachtet wurden. Darüber hinaus fanden sich aber  – in den gängigen bildgebenden Verfahren und mit entsprechenden subjektiven Beschwerden verbunden  – Verschleißveränderungen im Sinne degenerativer Bandscheibenschäden bzw. Arthrosen an den kleinen Wirbelgelenken, die klinisch als „chronisches Lumbalsyndrom“ mit und ohne radikuläre Beteiligung imponieren.

Halswirbelsäule

Die dritte große Problemzone für Überlastungsschäden ist die HWS: Hier gelingt es trotz konsequentem Training der Hals-/Nackenmuskulatur und des Tragens eines sog. „Gehänges“ (ein erlaubtes Band, das Helm und Körper verbindet und so eine Hyperlordosierung der HWS durch die extremen Fliehkräfte in den Steilkurven verhindern soll) nicht, schwere Verschleißveränderungen und operationspflichtige Bandscheibenvorfälle zu vermeiden. Das Gehänge ersetzt jedoch keinesfalls ein sehr konsequentes Aufbautraining der stabilisierenden Halsnackenmuskulatur.

Als Konsequenz für die HWS ergeben sich nicht nur Beschwerden im Sinne eines „chronischen Zervikalsyndroms“ mit teils erheblicher Bewegungseinschränkung der HWS und radikulärer Begleitsymptomatik; vielmehr mussten darüber hinaus mehrfach Weltklasseathleten wegen Bandscheibenvorfällen (meist Höhe C5/C6) mit Wurzelkompression operativ behandelt werden.

Berücksichtigt man, dass mehrere Weltklasserodler sich Bandscheibenoperationen an der HWS unterziehen mussten und/oder ihre Karrieren aufgrund der Beschwerden beendeten, so ist aus ärztlicher Sicht die Frage zu stellen, ob derartig schwere Erkrankungen durch eine Änderung des Regelwerks nicht künftig vermieden werden können, z.B. durch Anbringen einer Auflagefläche für den Kopf, die über den hinteren Anteil der Schlittenschale hinausragt. Dadurch könnte eine (fast schon traumatische) Hyperlordosierung der HWS in den Steilkurven vermieden werden.

Sonstige Überlastungsbeschwerden

Gelegentlich werden auch Überlastungsbeschwerden und Belastungsschäden im Sinne einer Epicondylitis radialis, einer Apicitis patellae sowie auch Knorpelschäden im Retropatellargelenk beobachtet. Allerdings lässt sich aus den sportarttypischen Bewegungs- und Belastungsmechanismen derzeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ableiten, dass es sich um sportartspezifische Überlastungsschäden handelt.

Beim relativ häufig beobachteten Hallux rigidus allerdings könnte die Ursache in zu weichem (und damit ungeeignetem) Schuhwerk beim doch sportartspezifischen (und für das Rodeln notwendigen) Hallenfußball liegen.

©Plaickner

Wichtiges für den betreuenden Sportarzt

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DER AUTOR

Dr. Christian Schneider ist Orthopäde und Sportmediziner im Orthopädiezentrum Theresie München. Er ist Leitender Verbandsarzt des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland und Mitglied der Medizinischen Kommission des DOSB.

Co-AUTOR:

Dr. Lutz Kistenmacher, OUCC Berchtesgaden, Locksteinstrasse 16, 83471 Berchtesgaden