Sehr geehrte Damen und Herren,
nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ist für die Tennisspieler vor den US Open in New York, dem unbestritten lautesten und hektischsten Tennisturnier der Welt. Aber ist die Veranstaltung in Flushing Meadows (29. August bis 11. September) auch eine der gefährlichsten für die Gesundheit der Spielerinnen und Spieler? Ist das Risiko von Verletzungen besonders hoch auf den dortigen Hartplätzen? In Brasilien wurde im olympischen Tennisturnier auf einem ähnlichen Belag gespielt wie jetzt bei den US Open. Der harte und vor allem stumpfe Untergrund machte auch den beiden deutschen Startern, Dustin Brown und Philipp Kohlschreiber, schwer zu schaffen. Beide erlitten Verletzungen am Fuß bzw. Sprunggelenk und mussten sich vom Kampf um die Medaillen abmelden.
Im zweiten Teil unseres GOTS-Newsletters zum Thema Tennis beschäftigt sich Dr. med. Tim Leschinger mit den Verletzungen von Fuß, Sprunggelenk, Knie und Hüfte und beschreibt Möglichkeiten der Prävention. Im Juni hatte er Handgelenk, Ellenbogen, Schulter und Wirbelsäule thematisiert.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org
Verletzungen und Prävention im Tennis (Teil II)
Wie schon im ersten Teil des GOTS-Newsletters zum Thema Tennis im Juni dargestellt wurde, sind sowohl die Ausprägung als auch die Entwicklung der sportarttypischen Schäden im hohen Maße abhängig von den spezifischen Belastungsprofilen des Tennisspiels. Die Kenntnis der komplexen Bewegungsmuster im sogenannten Weißen Sport ist deshalb ausgesprochen wichtig, ja sogar notwendig, um spezifische Verletzungen erkennen bzw. behandeln zu können. Auch ist das Wissen Grundlage dafür, eine adäquate Verletzungsprävention für die Spielerinnen und Spieler zu erreichen.
Nachdem im ersten Teil die sportarttypischen und zumeist chronischen Verletzungen und Überlastungsschäden im Bereich der Schulter, des Ellenbogens, des Handgelenks und der Wirbelsäule behandelt worden sind, soll der Fokus nun in der thematischen Fortsetzung auf die Verletzungen der unteren Extremitäten gelegt werden. Durch die verletzungsbedingte Aufgabe der deutschen Spitzenspieler Dustin Brown und Philipp Kohlschreiber bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro sind die Verletzungen der unteren Extremitäten und die Möglichkeiten der Prävention zusätzlich in den Blickpunkt gerückt.
Überdies beginnt Ende des Monats in New York das letzte der vier Grand-Slam-Tennisturniere, das auf einem ähnlichen Hartplatz-Belag wie der olympische Wettbewerb gespielt wird. Das Belastungsprofil der unteren Extremität, das aus einem hohen Anteil plötzlicher Stopps sowie schneller Dreh- und Abbremsbewegungen mit hieraus resultierenden hohen exzentrischen Krafteinträgen besteht, wird durch die bei den US-Open sowie der in den USA gespielten Vorbereitungsserie und den amerikanischen Masters-Turnieren gewählten Belägen noch weiter erhöht.1 In diesem Beitrag sollen die sportarttypischen Verletzungen von Fuß, Sprunggelenk, Knie und Hüfte beschrieben werden.
Verletzungen am Sprunggelenk und Fuß
Die dominierende Verletzung der Tennisspieler im Bereich der unteren Extremität ist die Distorsionsverletzung des oberen Sprunggelenks. Bei der Distorsion befindet sich der Fuß meist in einer Inversionsstellung und Plantarflexion wie bei der Landung nach Überkopfbällen oder Aufschlägen, wobei die Inzidenz insbesondere vom Bodenbelag abhängig ist.2
Abb.1: Inversionsstellung und Plantarflexion des linken Fußes in der Aufschlagsbewegung.
Eine Verletzung des lateralen (außenseitigen) Bandkomplexes des Sprunggelenks – im Großteil der Fälle des Lig. talofibulare anterius – kann die Folge sein. Primär ist die konservative Behandlung, bestehend aus einer Belastungsreduktion von typischerweise sieben bis zehn Tagen sowie Kühlung, Kompression und Hochlagern des Beines die Methode der Wahl. Eine funktionelle Behandlung mit Bandagen oder Orthesen über einen Zeitraum von sechs Wochen mit begleitender Krankengymnastik (Training der Propriozeption und Kräftigung der aktiven Stabilisatoren des Sprunggelenks) hat sich bewährt.
Im Sinne der Prävention wurde gezeigt, dass in einem Zeitraum von zwölf Monaten nach Erstverletzung, das Tragen einer Sprunggelenksorthese während sportlicher Aktivitäten eher das Risiko wiederholter Distorsionstraumata reduziert als ein achtwöchiges neuromuskuläres Training. Im Rahmen der Regeneration nach einer Verletzung kann somit eine längere Verwendung einer Sprunggelenksorthese überdacht werden, um weitere Verletzungen zu vermeiden.3
Zeigen sich die Beschwerden der Patienten im Zeitverlauf nur gering rückläufig oder besteht schon initial der klinische Verdacht auf eine Begleitläsion, sollten die Sportler einer weiteren Diagnostik (MRT) und Therapie zugeführt werden.4 Gleiches gilt, wenn trotz eines konsequent durchgeführten Rehabilitationsprogramms nach sechs Monaten eine fortwährende Instabilität im Sprunggelenk verbleibt.
Eine optimale individuelle Schuh- und Einlagenversorgung leistet darüberhinaus einen entscheidenden Beitrag zur Prophylaxe des nicht zu unterschätzenden Problemkomplexes der schmerzhaften Hornhautbeschwielungen im Zehen- und Vorfußbereich („Tennis-Toe“) sowie pilzbedingter Hautaffektionen („Athlete’s-Foot“), als auch dem Auftreten von Stressfrakturen am Rück- und Mittelfuß, die vermehrt bei Spielern unter 18 Jahren zu beobachten sind.5,6
Verletzungen des Knies und des Unterschenkels
Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse im M. gastrocnemius – dem großen Wadenmuskel, der mit seinen beiden Köpfen am Oberschenkelknochen oberhalb der Kniekehle entspringt und mit seinem sehnigen Anteil, der Achillessehne, am hinteren Fersenbein (Calcaneus) ansetzt – werden als „Tennis-Leg“ bezeichnet.1 Sie sind meist das Resultat explosiver Sprung- und Sprintbelastungen wie etwa beim Aufschlag oder beim Versuch, einen Stopp-Ball zu erreichen. Ein plötzlicher einschießender Schmerz in der Wade wird von den Sportlern häufig berichtet. Eine konservative Therapie mit einem (elastischen) Tapeverband und eventueller Erhöhung des Schuhabsatzes, um die Dehnungsbelastung zu vermeiden, reichten im Zuge der Behandlung zumeist aus. Ein sicherer Ausschluss einer Achillessehnenruptur ist jedoch obligat.
Als Prävention können insbesondere adäquate Aufwärmübungen inklusive Dehnübungen und gegebenenfalls wärmende Kleidung (lange Hosen bei kühleren Temperaturen) sinnvoll sein.
Aus dem tennisspezifischen Belastungsprofil resultierende Verletzungen und Überlastungschäden des Kniegelenkes sind neben degenerativen Meniskusläsionen und assoziierten Knorpelschäden vor allem Überlastungsreaktionen (Tendinosen) der Patellarsehne (Kniescheibensehne), das sogenannte „Jumpers-Knee“, mit folgenden Belastungsschmerzen vorne und am Unterrand der Kniescheibe (patellofemoraler Schmerz).
Trainingsfehler bzw. eine geschwächte, verkürzte Oberschenkelmuskulatur begünstigen häufig ein Springerknie. Dem sollte gezielt entgegengewirkt werden.
Die Therapie richtet sich nach der individuellen Symptomatik und Chronizität. Sie schließt neben physikalischen Maßnahmen (exzentrisches Muskeltraining) im Falle der Therapieresistenz auch ein operatives Verfahren nicht aus. Isolierte oder komplexe Kniebandverletzungen werden im Tennis im Vergleich zu anderen Sportarten nicht gehäuft beobachtet. Die häufigste akute Kniebinnenverletzung ist der Riss des vorderen Kreuzbandes.
Verletzungen der Hüfte
Die häufigsten Verletzungen am Hüftgelenk sind Überlastungsreaktionen der Sehnen (Tendinosen) und/oder der Schleimbeutel (Bursitiden), die insbesondere in Wettkampfphasen zu beobachten sind. Ein Grund dafür ist unter anderem die Besonderheit der muskulären Belastung. Die „offene Schlagstellung“ vor allem bei der Vorhand birgt das Risiko einer vorderen (anterioren) Instabilität der Gelenkkapsel sowie die Gefahr eines hinteren (posterioren) Einklemmungsphänomens (Impingement) der Gelenkstrukturen in sich. Grund dafür ist meist die extreme Außenrotations-Abduktionsstellung der Hüfte mit Dehnung der Adduktoren.
Abb.2: Offene Schlagstellung beim Vorhandschlag mit endgradiger Außenrotations-Abduktionsstellung der rechten Hüfte.
Diese repetitiven Extrembelastungen mit weiten Ausfallschritten können durch kleine Einrisse der vorderen Kapsel außerdem zu einer Verbindung der Gelenkhöhle mit der sogenannten Bursa iliopsoatica (Schleimbeutel) und zur Ausbildung einer Bursitis iliopsoatica (Schleimbeutelentzündung) führen. Akute Verletzungen am Hüftgelenk stellen im Tennissport dennoch eine Rarität dar. So wurde in einem Beobachtungszeitraum von sechs Jahren bei jungen Leistungssportlern eine Inzidenz von lediglich 0.8 pro 1.000 Athleten beobachtet.
Über den Autor:
Dr. med. Tim Leschinger ist in der Unfallchirurgie/Orthopädie der Universitätsklinik Köln tätig. Seinen Forschungsschwerpunkt hat er im Cologne Center for Musculoskeletal Biomechanics – einer Kooperation der Kölner Universitätsklinik und der Deutschen Sporthochschule. Leschinger war viele Jahre Jugendkaderspieler des Tennis-Verbandes und gewann bei den Hochschulmeisterschaften im Tennis für die Universität Heidelberg Gold-, Silber-, und Bronzemedaillen im Doppel-, Team- und Einzelwettkampf.
Literatur
- Leschinger T, Schmidt-Wiethoff R, Dargel J. Tennis. In: Engelhardt M, ed. Sortverletzungen
Diagnose, Mangement und Begleitmaßnahmen. München: Elsevier; 2016:655-62. - Pluim BM, Staal JB, Windler GE, Jayanthi N. Tennis injuries: occurrence, aetiology, and
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randomised controlled trial. British journal of sports medicine 2014;48:1235-9;
10.1136/bjsports-2013-092947 - DiGiovanni BF, Partal G, Baumhauer JF. Acute ankle injury and chronic lateral instability in
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