Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

Suche

Vernachlässigt, klein, aber oho – Die Fingergelenke im Sport

Bis zu 30% der Verletzungen beim Sport betreffen die Hand. Durch die enge Lagebeziehungen der Strukturen (Knochen, Knorpel, Streck- und Beugesehnen, Kollateralbänder, palmare Platte, Gefäße, Nerven etc.) haben Unfallmechanismus, klinische Untersuchung und die korrekte Diagnostik einen besonderen Stellenwert. Regelhaft werden gravierende Verletzungen erst zeitverzögert diagnostiziert. Eine Wiedervorstellung zur Reevaluierung einige Tage nach dem Trauma sollte erfolgen.

Verletzungsmuster beim Sportler

Ballsport-, Kontakt- und Hochrasanzsportarten haben ein hohes Risiko für Verletzungen von Handgelenk- und Hand. Handball (ca. 30%) gefolgt von Volleyball (ca. 20%) und Basketball (ca. 19%) haben den höchsten Anteil an Handverletzungen. Der Fußballtorwart (ca. 42%) hat ein deutlich höheres Risiko als seine Mannschaftskollegen. Bei den Nicht-Ballsportarten sind insbesondere die Sportkletterer (ca. 69%) sowie die Turner (ca. 55%) exponiert für Handverletzungen. Während bei den Ballsportarten häufig der direkte Kontakt mit dem Ball oder dem Gegner zu der Verletzung führt, ist die Ursache der Verletzung beim Radsport, Fußball, Rugby oder Football eher sturzbedingt. Diese Verletzungsmuster sind zu differenzieren von Beschwerden die bei Sportarten durch repetitive Bewegungsabläufe entstehen. Da einige Verletzungsmuster pathognomonisch für die Sportart bzw. den Bewegungsablauf sind, haben sich Eigennamen wie beispielsweise der Basket- oder Baseballfinger, die Boxerfraktur, der Skidaumen, der Bowlingfinger oder der Jersey-Finger, etabliert.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung bedarf einer großen Erfahrung und sollte sich nicht nur auf die offensichtlich verletzte Struktur konzentrieren, sondern standardisiert unter Berücksichtigung aller Strukturen erfolgen. Erst zum Abschluß dieses „Rundganges“ wird die offensichtlich verletzte Region unter Einbeziehung aller Strukturen untersucht. 

Bildgebung

Eine Vielzahl von Verletzungen entgehen der Bildgebung da die Verletzung auf dem Röntgen nicht sichtbar oder aber die Bildgebung für die Verletzung ungeeignet, ist. Übersichtsaufnahmen der Hand (bsp. Zitherspieleraufnahme) anstelle von Zielaufnahmen des betroffenen Bereiches in 2 Ebenen, sorgen dafür dass Frakturen nicht erkannt werden und vorschnell und oft folgenschwer die Diagnose einer Distorsion ausgesprochen wird. Im Rahmen der angesprochenen Reevaluierung sollte die Notwendigkeit einer Zielaufnahme, gehaltener Aufnahmen, eines MRT oder CT geprüft werden. Insofern ein MRT erforderlich ist, sollte dem Radiologen die Verdachtsdiagnose mitgeteilt werden. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der richtigen Diagnose. Im Krankenhaus und der Notaufnahme eher unüblich, in der eigenen Praxis jedoch bei jeder Fingerverletzung Standard, ist der Ultraschall durch den behandelnden Arzt. Diese kostengünstige Untersuchungstechnik ermöglich dem behandelnden Arzt eine statische und dynamische Begutachtung aller Strukturen.

Prävention: Die meisten Verletzungen lassen sich, da Sie durch externe Einflüsse beim Zweikampf, einem Sturz, ein axiales Stauchungstrauma oder eine Distorsion entstehen, nicht vermeiden. Geeignete Schutzmaßnahmen wie Bandagieren, Orthesen oder Taping stabilisieren das Gelenk bzw. den Finger und sind daher zur Prävention von Verletzungen und Überlastungen durchaus geeignet.

Beschwerdebilder, Diagnosen und Therapie:

Im Folgenden werden häufige sportartspezifische Verletzungen der Fingergelenke beschrieben.

Prellung/Distorsion. Diese Form der Verletzung ist oft ohne den Nachweis einer strukturellen Verletzung, jedoch oft mit hartnäckigen Schmerzen und einer Schwellung, assoziiert. Einer kurzen Phase der Ruhigstellung mittels Tape oder einer thermoplastische Schiene zur Schmerzreduktion folgt eine frühfunktionelle Beübung. Die Primärdiagnostik umfasst neben der detaillierten klinischen Untersuchung ein Röntgenbild des betroffenen Gelenkes in 2 Ebenen sowie ein Ultraschall zum Ausschluss einer Verletzung der Streck- oder Beugesehnen, der Kollateral- und Ringbänder. Eine MRT-Untersuchung ist nur mit gezielter Fragestellung und bei Beschwerdepersistenz indiziert.

Frakturen. Sind in der Regel traumatischer Genese. Insbesondere Kontakt-, Ball- und Kampfsportarten haben ein hohes Risikopotential. Als Grundregel sollte gelten: Jeder traumatische Schmerz an Handgelenk und Hand sollte erst dann als Prellung gewertet werden, wenn eine Fraktur oder eine andere strukturelle Verletzung durch geeignete Maßnahmen ausgeschlossen wurde. Bei der klinischen Untersuchung ist insbesondere auf Achs- und Rotationsfehlstellungen zu achten. Wobei dieser nur durch einen vollständigen Faustschluß auszuschließen ist. Die Röntgendiagnostik des betroffenen Fingers in zwei Ebenen ist in der Regel ausreichend. Eine zusätzliche CT-Untersuchung ist bei Frakturen mit Gelenkbeteiligung in Erwägung zu ziehen. Stabile Frakturen können konservativ durch entsprechende Schienenbehandlung versorgt werden. Bei der Ruhigstellung im Bereich der MCP-, PIP- und DIP-Gelenke ist, um Gelenkkontrakturen und damit Bewegungseinschränkungen zu vermeiden, auf eine Ruhigstellung in Intrinsic-Plus-Stellung, zu achten. Offene, instabile Frakturen mit Drehfehler, Achsfehlstellung, Gelenkbeteiligung oder Verkürzungen sollten operativ versorgt werden. In der eigenen Praxis werden ausschließlich maßgefertigte thermoplastische Schienen sowohl bei der konservativen als auch bei der operativen Therapie angelegt. Konfektionierte Schienen sind aus unserer Sicht ungeeignet.

Kapsel-Band-Verletzungen der Mittelgelenke. Sind, bedingt durch die Hebelwirkungen bei seitlicher Krafteinwirkung insbesondere bei Ball- und Kontaktsportarten, zu beobachten. Das radiale Seitenband ist häufiger betroffen als das ulnare Seitenband. In Abhängigkeit der einwirkenden Kraft kommt es zusätzlich zu einer Verletzung der palmaren Platte. Das Röntgenbild dient dem Ausschluß/Nachweis einer knöchernen Beteiligung. Zur Diagnosesicherung sollte ein MRT erfolgen. Im eigenen Vorgehen führen wir keine gehaltenen Aufnahmen, durch sondern prüfen die Stabilität mit dem Ultraschall. Teil- und vollständige Rupturen werden ebenso, wie die nicht dislozierten knöchernen Ausrisse konservativ behandelt. Einer 7 bis 14-tägigen Ruhigstellung in einer maßgefertigten thermoplastischen Schiene folgt ein 4-wöchiges Twin-Taping. Nach 6 Wochen kann mit der Belastung begonnen werden. Zusätzlich zu der palmaren Platte ist häufig der Tractus intermedius verletzt. Dies kann im weiteren Verlauf zu einer Knopflochdeformität führen. Diese schwerwiegende Verletzung sollte der operativen Versorgung zugeführt werden.

Luxation im Mittelgelenk. Die Luxation im PIP-Gelenk ist in der Regel nach dorsal gerichtet und entsteht durch ein Hyperextensionstrauma. Neben der palmaren Kapsel reißt oft auch zusätzlich ein Seitenband. Bei der palmaren Luxation im Mittelgelenk kommt es zu Läsionen des Tractus intermedius. Nach radiologischem Ausschluß einer Fraktur ist eine zeitnahe geschlossene Reposition in Leitungsanästhesie durch einen mit dieser Verletzung erfahrenen Arzt, indiziert. Brüske, falsch eingesetzte Gewalt birgt das Risiko einer zusätzlichen Traumatisierung. Gelingt dies nicht, ist eine offene Revision, indiziert. Nicht selten erfolgt noch neben dem Spielfeld die Reposition durch den Spieler selbst oder Ersthelfer. Vor der Reposition sollte, ebenso wie danach, ein Röntgenbild erfolgen. Ein MRT stellt die Zusatzverletzungen dar. Im eigenen Patientengut erfolgt immer eine Ultraschalluntersuchung durch den behandelnden Arzt. Die konservative Therapie sieht eine zweiwöchige Ruhigstellung in einer thermoplastischen Schiene mit anschließendem Twin-Taping vor. Eine Indikation zur operativen Versorgung besteht bei Instabilität sowie zusätzlicher Verletzung des Tractus intermedius.

Verletzung der palmaren Platte: Diese Verletzung ist in der Regel das Resultat eines Hyperextensionstrauma durch Sturz oder durch den Anprall eines Balls. Neben der Zerreißung der pars flaccida ist auch ein Abriss der Faserknorpelplatte von der Mittelgliedbasis, möglich. Auch hier ist die klinische Untersuchung die Grundlage der korrekten weiteren Therapie. Begleitverletzungen der Kollateralbänder und Sehnen sind auszuschließen. Typisch ist der Hyperextensions- sowie der Hyperflexionsschmerz. Eine Röntgenaufnahme in 2 Ebenen dient dem Nachweis/Auschluß knöcherner Verletzungen. Die Ultraschalluntersuchung stellt diese Verletzung gut dar. Eine Ruhigstellung des betroffenen Gelenkes in einer maßgefertigten, thermoplastischen Schiene in 30 Grad Flexion für 7-10 Tage mit anschließendem Twin-Taping für weitere 2-3 Wochen ist indiziert. Es folgt ein schrittweiser Bewegungs- und Belastungsaufbau, wobei eine Hyperextension für insgesamt 6 Wochen vermieden werden muss. Im Falle einer chronischen Instabilität ist die operative Refixierung der palmaren Platte, indiziert. Ergo- oder Physiotherapie sind nach Abschluß der Ruhigstellung indiziert.

 Jersey-Finger: Beim „Trikot-Finger“ kommt es durch eine plötzliche, kräftige Extension bei maximal flektiertem DIP-Gelenk, wie es beim Greifen nach dem Trikot des Gegners (bsp. Football, Rugby, Handball, Judo) vorkommen kann, zu einer Ruptur der tiefen Beugesehne an ihrem Ansatz an der Endphalanx. Eine Sonderform stellt der knöcherne Beugesehnenabriss, dar. Eine gründliche klinischen Untersuchung zeigt die aufgehobene aktive Beugung im DIP Gelenk bzw. wenn der Daumen betroffen ist im IP-Gelenk. Das Röntgenbild dient dem Ausschluß/Nachweis knöcherner Verletzungen. Das MRT bleibt der erweiterten Diagnostik vorbehalten. Konservative Maßnahmen sind bei dieser Verletzung nicht zielführend. Die frühelektive Refixierung der Sehne an ihrem Ursprung ist die operative Therapie der Wahl. Eine intensive oft langwierige Nachbehandlung ist erforderlich.

Skidaumen (Läsion des ulnaren Seitenbandes MCP-Gelenk D1): Der Pathomechanismus dieser Verletzung ist eine durch Sturz oder direkten Anprall bedingte von ulnar einwirkende Kraft auf den abduzierten Daumen. Risikosportarten sind neben Handball, Basketball, Football und Baseball sowie der Skisport auch Hockey und Eishockey (Hebelwirkung des Schlägers}. Die Röntgendiagnostik dient zum Ausschluss/Nachweis knöcherner Läsionen. Im akuten Stadium ist die klinische Untersuchung aufgrund der Schmerzen oft schwierig und wenig aussagekräftig und sollte daher einige Tage später wiederholt werden. Die Stabilitätskontrolle der Kollateralbänder des Daumengrundgelenks erfolgt in Streckstellung und in 30°-Flexionsstellung zur Testung der akzessorischen bzw. horizontalen Bandanteile. Eine im Seitenvergleich vermehrte Aufklappbarkeit um mehr als 30° spricht für eine komplette Ruptur. Inkomplette und nicht dislozierte Rupturen bedürfen einer 4-wöchige Ruhigstellung in einer das MCP Gelenk stabilisierenden Orthese. Retrahiert sich das distal abgerissene Kollateralband nach proximal und schlägt um den freien Rand der Adductor-pollicis-Aponeurose um (Stener-Läsion), kann eine konservative Behandlung nicht zum Erfolg führen. Derartige durch Ultraschall oder MRT nachweisbare Rupturen müssen aufgrund der Gefahr einer dauerhaften Instabilität, operativ versorgt werden. Nicht dislozierte knöcherne Ausrisse des Kollateralbandes werden 4-6 Wochen wie vorbeschrieben ruhiggestellt. Bei Dislokation ist die operative Versorgung indiziert. Die postoperative Nachbehandlung erfolgt wie bei einer konservativen Therapie. Wesentlich seltener jedoch analog behandelt, ist die Ruptur des radialen Kollateralbands.

Atraumatische Epiphysenfrakturen: Beim Sportklettern lasten je nach Griffart (z. B. Klimmzugtechnik mit aufgestellten Fingern) bis zu 420 Newton auf die Strukturen die somit einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt sind. Die atraumatische Epiphysenfraktur, bei der es sich definitionsgemäß um eine Übergangsfraktur handelt, ist eine bei jugendlichen Sportkletterern häufige Verletzung die in der Mehrzahl den Zeige- und Mittelfinger betrifft. Ursächlich ist die hohe Druckbelastung auf die dorsalseitige Wachstumsfuge in der aufgestellten Fingerposition mit zusätzlicher Belastung der Wachstumsfuge durch den Zug des dorsalseitig einstrahlenden zentralen Strecksehnenzügels. Die Therapie besteht in Form einer primären Ruhigstellung in einer maßgefertigten thermoplastischen Schiene bis zur Schmerzfreiheit gefolgt von einer etwa 6-wöchigen Kletterpause sowie einem schrittweisen Belastungsaufbau.

Malletfinger (Synonyme: Basketball, Handball, Cricket, Hammer-, Mallet-, Dropfinger): Hierbei handelt es sich um eine subkutane Strecksehnenrupturen auf Höhe des DIP- und PIP-Gelenkes. Vor allem bei Ballsportarten kann es durch ein axiales Auftreffen des Balls auf den Finger zu solchen Rupturen, in der Regel über dem DIP-Gelenk des Fingers (Zone 1), kommen. Klinisch resultiert ein herabhängendes Endglieds ohne aktive Extension. Durch die dadurch entstehende Imbalance des Streckerapparats kann es in der Folge zu einer Hyperextension im PIP-Gelenk (Schwanenhalsdeformität), kommen. Durch eine Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen muss eine knöcherne Strecksehnenläsion bewiesen oder ausgeschlossen werden. Ein MRT ist nicht indiziert. Eine Ultraschalluntersuchung stellt die rupturierte und dehiszente Sehne sehr gut dar. Die Therapie der Strecksehnenruptur in Zone 1 besteht in einer 8-wöchigen Ruhigstellung in einer maßgefertigten, thermoplastischen Schiene in Hyperextension gefolgt von einer 4 wöchigen analogen Ruhigstellung bei Belastung. Konfektionierte Stack´sche Schienen sind ungeeignet und führen regelhaft zu unbefriedigten Ergebnissen. Bei korrekt durchgeführter, jedoch frustraner Therapie, wird die operative Sehnennaht mit temporärer Kirschnerdrahtarthrodese empfohlen. Auch veraltete Strecksehnenrupturen können zunächst konservativ behandelt werden. Ein Sonderfall stellt der knöcherne Strecksehnenausriß am Endglied, dar. Hier bedarf es bei Dislokation sowie Fragmenten die mehr als 20% der Gelenkfläche betreffen einer operativen Refixation des Fragments.

Verletzungen des Tractus intermedius: Verletzungen auf Höhe des PIP-Gelenks (Zone 3) sind die Folge eines Anpralltraumas oder einer Distorsion. Diese betreffen den Tractus intermedius und führen zu einem Streckdefizit im PIP-Gelenk. Im weiteren Verlauf kommt es durch ein Abrutschen des Tractus lateralis nach palmar und einer Überstreckung des DIP-Gelenks zu einer Knopflochdeformität. Frische Verletzungen werden mittels maßgefertigter thermoplastischer Schiene in gestreckter Position für 6–8 Wochen konservativ behandelt. Bei älteren Verletzungen ist die operative Rekonstruktion des Tractus intermedius erforderlich.

Fazit

Verletzungen der Fingergelenke sind häufig und werden ebenso häufig übersehen bzw. falsch eingeschätzt. Die eingehende klinische Untersuchung unter Kenntnis des Unfallmechanismus in Kombination mit der korrekten Diagnostik ist die Grundlage für die richtige Diagnose. Nur so kann über die weitere konservative oder operative Therapie und die Dauer der Ruhigstellung sowie die Form der Nachbehandlung entschieden werden.

——————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————-DER AUTOR

Prof. Dr. med. Gabor Szalay ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Chirurgie, spezielle Unfallchirurgie, Handchirurgie und Notfallmedizin in der Praxis an der Sportklinik Bad Nauheim