Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Die verflixte Sportlerleiste

Die verflixte Sportlerleiste

Einleitung

Der Leistenschmerz bei Sportlern findet in den letzten Jahren zunehmendes wissenschaftliches und auch öffentliches Interesse. Der plötzliche Ausfall eines professionellen Athleten kann nicht nur für seine eigene berufliche Karriere, sondern auch für seine Mannschaft enorme Folgen haben. Dabei ist das Problem des Leistenschmerzes bei Sportlern an sich nichts Neues. Bereits 1966 beschrieb Cabot den bei spanischen Fußballspielern auftretenden Leistenschmerz als Osteopatica dinamica del pubis. Er fand eine Inzidenz von 0,5 % über einen Zeitraum von 30 Jahren. Deutlich häufiger war der Leistenschmerz in prospektiven Untersuchungen von Fußballspielern, die Ekstrand und Gillquist Anfang der 1980er-Jahre durchgeführt haben. Hier lag die Inzidenz bereits bei bis zu 13 % in einem Beobachtungszeitraum von bis zu 2 Jahren. Je nach Sportart variiert die angegebene Inzidenz. So fanden Emery et al. bei Eishockeyspielern der nordamerikanischen Hockey-Liga (NHL) eine Leistenverletzung in zwischen 13 und 20 % der Fälle. Unter männlichen Fußballspielern liegt die Inzidenz für chronischen Leistenschmerz bei bis zu 18 Prozent.

 

Differenzialdiagnostik von Leistenschmerzen

Hintergrund

Betroffen von Leistenschmerzen sind vor allen Sportler, deren Bewegungsablauf durch eher einseitige körperliche Belastungen mit schnellen, wechselnden Bewegungen gekennzeichnet ist. Gerade bei Fußballspielern, die im Laufschritt tretende und drehende Bewegungen ausführen mit schnellen abrupten Richtungswechseln, kombiniert mit kraftvollem Schießen des Balles, ist der akut einsetzende Leistenschmerz häufig zu beobachten. Bei Mannschaftssportarten wie Rugby, Football, Eis- und Feldhockey ist ein vermehrt durch Leistenschmerz bedingter Ausfall der Spieler zu verzeichnen. Aber auch Tennisspieler und Marathonläufer sind durch ihre besondere Belastung nicht selten betroffen. Bereits beim einfachen Joggen konnte eine Belastung des Hüftgelenkes mit dem 8-Fachen des eigenen Körpergewichts nachgewiesen werden, was sich unter sportlichen Wettkampfbedingungen sicherlich weiter erhöht. Trotz der Häufigkeit von Leistenschmerzen bei Sportlern zeigt sich nach wie vor eine große diagnostische Unsicherheit. Zum einen fehlen klare Begriffsdefinitionen, sodass eine Vermengung von Diagnosen wie weiche Leiste, Sportlerleiste, Osteitis pubis, Pubalgia athletica etc. auch in der Literatur überwiegt. Zum anderen spiegelt die breite Schwankung der Häufigkeit in der Diagnosestellung einer weichen Leiste bei Sportlern mit Leistenschmerzen (zwischen 2 und 50 %!) die diagnostische Unsicherheit wider. Dabei ist die klare Differenzierung der zugrundeliegenden Pathologie entscheidend, um unnötige Operationen zu vermeiden, dauerhaften Schäden vorzubeugen und den Patienten einer zielgerichteten Therapie zuzuführen.

Betroffene Strukturen und Differenzialdiagnosen

Der Begriff „Leiste“ geht auf das germanische Wort „leisto“ zurück, das „Rand“ bedeutet. Dieser „Rand“ beschreibt den Übergang des Rumpfs zum Oberschenkel. Die Leistenregion beherbergt den muskulofaszialen Ursprung der Bauchdecke sowie die den Rumpf mit dem Oberschenkel verbindenden Muskelstränge, das Leistenband, Faszienstränge, Lymphknoten, die großen Beingefäße sowie viele wichtige Nervenäste zur Versorgung der unteren Extremitäten. Die Leiste ist eine der zentralen Schaltstellen unseres Bewegungsapparates. Sie ist auch ein Teil der vorderen Bauchwand, einer Funktionsgemeinschaft von Muskulatur und Aponeurosen, die in ihrem distalen Anteil den Leistenkanal bilden. Die dadurch entstehenden muskulofaszialen Verspannungssysteme ermöglichen erst die Lastenverteilung und -weiterleitung auf das knöcherne Skelett. Gerade die gemeinsame Aponeurose von M. rectus abdominis und M. adductor longus wird bei sportlicher Belastung stark beansprucht.

Abb. 1

Aber auch benachbarte anatomische Strukturen wie das Hüftgelenk, das Schambein sowie die Rücken- und Oberschenkelmuskulatur können Auslöser von Beschwerden sein, die sich auf die Leiste projizieren.

Abb. 2 Beschwerden, die von Veränderungen der Wirbelsäule herrühren, und jede Form der intraabdominellen Druckerhöhung im Bauchraum, wie z. B. bei chronischer Bronchitis, Asthma, Divertikulose oder der Prostatahypertrophie beim Mann, können in die Leiste ausstrahlen. Als eine Sonderform ist der Leistenschmerz bei Endometriose der Frau anzusehen, die oft nicht erkannt und erst bei der Operation festgestellt wird. Die in Abb. 2 zusammengefassten häufigsten Differenzialdiagnosen von Leistenschmerzen bei Sportlern zeigen, dass Leistenschmerzen weit mehr Ursachen haben können als nur eine „weiche Leiste“.

Die diagnostische Abklärung von Sportlern mit Leistenschmerzen zeigt meist einen typischen Verlauf. Vor allem bei akut einsetzenden Beschwerden wird zunächst der betreuende Sportmediziner oder Sportorthopäde aufgesucht. Eine entsprechend sorgfältige Abklärung fachspezifischer Ursachen ist entscheidend. Die klinische Untersuchung und die entsprechende Bildgebung ermöglichen den Nachweis bzw. den Ausschluss ossärer und gelenkbedingter Schmerzursachen. Dabei ist eine fachübergreifende Konsultation hinsichtlich der oft diffizilen Differenzialdiagnostik des Leistenschmerzes sinnvoll und hilfreich. Eine multidisziplinäre Abklärung ermöglicht bei unklaren Schmerzursachen eine rasche Diagnosestellung und Einleitung einer gezielten Therapie. Die primäre Aufgabe des Orthopäden liegt insbesondere darin, muskuloskelettale Ursachen zu erkennen bzw. auszuschließen. Dabei ist häufig eine weiterführende Diagnostik notwendig, da viele orthopädische Ursachen von Leistenschmerzen erst durch eine gezielte – auch apparative – Diagnostik zu verifizieren sind. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da eine –immer noch häufig übersehene – präarthrotische Deformität der Hüfte wie das femoroacetabuläre Impingement zu einer irreversiblen Gelenkschädigung führen kann.

Diagnostik

Primär gilt es, zunächst zwischen intraartikulären Hüftgelenkspathologien und extraartikulären Ursachen zu unterscheiden. Im Weiteren erfolgen eine Differenzierung lokaler Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates und des Bindegewebes von fortgeleiteten Schmerzen sowie die Unterscheidung von funktionellen Störungen und strukturellen Veränderungen. Nicht selten liegen dabei mehrere pathologische Veränderungen gleichzeitig vor. Bei der Vielzahl an möglichen Ursachen für Leistenschmerzen kommt der sorgfältigen Anamnese und klinischen Untersuchung eine zentrale Bedeutung zu. Danach sollte eine entsprechend zielgerichtete apparative Diagnostik erfolgen.

 
 

Schmerzanamnese

Bei der Schmerzanamnese geht es darum, den Schmerzcharakter so genau wie möglich zu erfragen. Durch eine sorgfältige Anamnese lassen sich mögliche Schmerzursachen häufig bereits eingrenzen.

Tab. 1 Klinische Leitsymptome der häufigsten Pathologien im Bereich der Leiste

PathologieLeitsymptome
AdduktorenansatztendinoseLeistenschmerz am Adduktorenansatz bei lokaler Palpation des Sehnenansatzes sowie bei passiver Abduktion und aktiver Adduktion in der Hüfte
StressfrakturSchmerzen vor allem bei axialer Belastung, Rotationsstress und Druck
AbrissfrakturLokalisierte Schmerzen über dem betroffenen Knochensegment bei Kontraktion und Dehnung der betroffenen Muskulatur
HüftgelenkspathologieSchmerzen bei längerem Sitzen, bei tiefer Beugung und Rotationsbewegungen im Hüftgelenk, Schmerz nach Belastung oder Anlaufschmerzen; Bewegungs­ einschränkung, gelegentlich Klicken oder Schnappen, später Bewegungsein­ schränkung (vor allem Innenrotation)
Osteitis pubisUmschriebener, lokaler Druckschmerz über der Symphyse, dumpfe Schmerzen, vor allem bei Überstreckung, ohne Ausstrahlung
LeistenhernieUnspezifische, dumpfe, drückende, umschriebene und gelegentlich ausstrah­ lende Schmerzen, eher Unterbauch/Flanke (peritoneal)
SportlerleisteZiehende, brennende, gelegentlich elektrisierend einschießende Schmerzen mit Ausstrahlung zur Oberschenkelinnenseite und skrotal/labial (neuralgiform)
 

Klinische Untersuchung

Die körperliche Untersuchung sollte am entkleideten Patienten im Stehen beginnen. Zunächst sollte eine Inspektion zum Ausschluss von Fehlstellungen, Fehlhaltungen, Beinlängendifferenzen oder möglichen Auffälligkeiten im Bereich der Körperoberflächen wie Vorwölbungen, Erhebungen oder Muskelatrophien erfolgen. Die Basis einer orientierenden Untersuchung bildet die Palpation, wobei knöcherne Prominenzen, Muskelansätze, die Muskulatur von Becken- und Rückenregion samt myofaszialer Triggerpunkte sowie Druckschmerzen über Gelenken und etwaige Schwellungen erfasst werden. Tief gelegene myofasziale Triggerpunkte können palpatorisch häufig nicht lokalisiert werden, hier ist als weiterführende diagnostische Maßnahme die Lokalisation mittels extrakorporaler Stoßwellen hilfreich. Zum Ausschluss der häufigsten Differenzialdiagnosen der „Sportlerleiste“ sollte bei der klinischen Untersuchung vor allem auf Dysfunktionen des Iliopsoaskomplexes, der Adduktoren und des M. rectus abdominis geachtet werden. Pathologien dieser Muskeln und der Muskelansätze führen zur Schmerzprovokation bei Palpation, Anspannung gegen Widerstand sowie zu Schmerz und reduzierter Flexibilität bei passiver Dehnung und Stretching. Obgleich Pathologien dieser Muskelkomplexe häufig ohne sichtbare strukturelle Veränderungen einhergehen, sind weitere sonographische oder auch MR (magnetresonanz)-tomographische Untersuchungen entsprechend der klinischen Symptomatik sinnvoll. Bei Leistenschmerzen sollte stets das Hüftgelenk auf klinische Auffälligkeiten untersucht und dabei auch die Beweglichkeit des Hüftgelenkes nach der Neutral-Null-Methode erhoben werden. Eine (schmerzhaft) eingeschränkte Innenrotation (in Beugung) kann als Leitsymptom einer degenerativen Hüftgelenkserkrankung gewertet werden. Bei ausbleibender Behandlung können irreversible Gelenkschäden auftreten. Gerade mechanische Ursachen von Labrum- und Knorpelschäden wie das femoroacetabuläre Impingement (FAI) sind bei Profisportlern extrem häufig. In einer aktuellen Studie zeigte sich bei professionellen weiblichen Fußballern eine verminderte Flexions- und Innenrotationsfähigkeit des Hüftgelenkes. Zudem war bei 50 % (Frauen) bzw. 72 % (Männer) der in einer weiteren Studie untersuchten Profifußballer radiologisch eine Impingement Deformität nachzuweisen. Klinisch können eine eingeschränkte Innenrotation in 90° Beugung sowie – bei bereits bestehenden intraartikulären Schäden – auch ein positiver Impingement Test (Leistenschmerz und/oder seitlicher Hüftschmerz bei Flexion/Innenrotation/Adduktion) beobachtet werden. Bei der zweiten wichtigen präarthrotischen Deformität – der Hüftdysplasie – zeigt sich hingegen durch die Coxa antetorta häufig eine vermehrte Innenrotationsfähigkeit des Hüftgelenkes Da die Innenrotation in Beugung schmerzbedingt eingeschränkt sein kann, sollte die Rotation der Hüfte auch in Bauchlage untersucht werden. Die spezifische Untersuchung der Leiste selbst beginnt mit einer Palpation, zunächst mit flachen Fingern über der Leiste in Ruhe, dann gefolgt von einer intermittierenden intraabdominellen Druckerhöhung durch den Patienten, z. B. durch Husten oder Pressen. Beim männlichen Patienten lässt sich durch Mitfassen von Skrotalhaut die Fingerspitze in Richtung äußerer Leistenring vorlegen. Hier lässt sich eine mögliche Bruchpforte und/oder Protrusion der Leistenkanalhinterwand tasten, was häufig als unangenehm und/oder schmerzhaft empfunden wird. Auch hier erfolgt die Untersuchung zunächst in Ruhe und dann unter intraabdomineller Druckprovokation (Valsalva-Manöver).

 

Ultraschall

Aufgrund der statischen als auch dynamischen Untersuchungsbedingungen kommt dem Ultraschall in der Abklärung der Sportlerleiste eine besondere Bedeutung zu. Dafür bedarf es eines Nahfeldschallkopfes mit 5–12 MHz. Die Untersuchung der Leistenregion erfolgt im Liegen, bei Bedarf auch im Stehen. Besonders wichtig ist auch während der Untersuchung die intermittierende Erhöhung des intraabdominellen Druckes durch wiederholtes Pressen (Valsalva-Manöver). Häufig gelingt erst durch dieses Manöver, eine Vorwölbung der Leistenkanalhinterwand oder einen Fasziendefekt mit Bruchgeschwulst darzustellen. Daneben lassen sich andere mögliche pathologische Veränderungen im Bereich der Leiste wie Muskel- und Sehnenverletzungen, Raumforderungen oder Lymphknoten nachweisen bzw. ausschließen. Dabei reicht der alleinige sonographische Befund einer Protrusion der Leistenkanalhinterwand für die Diagnosestellung nicht aus. Vielmehr muss dies mit den typischen klinischen Symptomen einhergehen. So konnten Orchard et al. bei australischen Footballspielern eine sonographische Vorwölbung in 20% nachweisen, ohne dass diese Spieler Beschwerden hatten. Die Ultraschalluntersuchung bedarf einer besonderen Erfahrung.

Abb. 3

Konventionelles Röntgen

Die Standarddiagnostik zur Abklärung von Hüftgelenkserkrankungen und knöchernen Pathologien umfasst eine Beckenübersicht, eine axiale Aufnahme des betroffenen Hüftgelenkes (Lauenstein oder „cross-table“ lateral) sowie eine Fauxprofil-Aufnahme nach Lequesne, womit die häufigsten Knochen- und Gelenkpathologien erfasst werden können [femoroacetabuläres Impingement (FAI), Hüftdysplasie, subspinales Impingement etc.]. Spezialaufnahmen können bedarfsweise angefordert werden (z.B. Rippstein-Aufnahme). Hier ist zu betonen, dass aufgrund der projektionsbedingten Einschränkungen eine Hüftgelenkserkrankung alleine mittels konventionellem Röntgen nicht sicher auszuschließen ist und bei klinischem Verdacht immer eine weiterführende Schnittbildgebung mittels MRT durchgeführt werden sollte.

 

Magnetresonanztomographie

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist heute ein häufig eingesetztes Verfahren zur Abklärung von Leistenschmerzen. Wichtig ist dabei, basierend auf der Anamnese und klinischen Untersuchung eine exakte Fragestellung zu formulieren, um eine möglichst zielgerichtete und optimale Bildgebung zu erhalten. Zur Beurteilung von knöchernen Veränderungen (z.B. Knochenödem, Stressfraktur, Hüftkopfnekrose), Symphysitis, Weichteilschwellungen, Raumforderungen und Ansatztendinosen ist eine MRT des Beckens nach durchgeführter nativer Röntgendiagnostik das Verfahren der Wahl. Für die Sportlerleiste gibt es hingegen in der MRT keine eindeutigen und reproduzierbaren Untersuchungsbefunde. Häufig findet sich ein Knochenmarködem im Bereich des Schambeines, das aber nicht pathognomonisch sein muss. So fanden Lovell et al. und auch Paajanen et al.  in der MRT ein hochsensibles Instrument zum Nachweis eines Knochenmarködems, jedoch ohne direkte Korrelation zu klinischen Symptomen. Limitiert ist die Beurteilung der Sportlerleiste in der MRT ferner dadurch, dass sich der Patient in liegender Position befindet. Hier ist ein negatives Untersuchungsergebnis häufig irreführend.

Bildgestützte Infiltration bei differenzialdiagnostischer Unsicherheit

Die diagnostische Infiltration ist ein wichtiges Verfahren bei differenzialdiagnostischer Unsicherheit. Vor allem bei Verdacht auf eine Hüftgelenkspathologie, Adduktorenpathologie, Iliopsoaspathologie oder Pathologie im Bereich der Wirbelsäule kann die Infiltration mit Lokalanästhetikum – unter sonographischer Kontrolle, Bildverstärkergestützt oder CT-gesteuert durchgeführt – hilfreich sein. Bei der intraartikulären Injektion in das Hüftgelenk sollte ein geringeres Volumen (< 5 ml) eines höher konzentrierten Lokalanästhetikums verwendet werden, da die Hüftkapsel ein kleines Volumen besitzt und eine übermäßige Drucksteigerung wiederum Schmerzen auslösen kann. Auch ist zu beachten, dass aufgrund der anatomischen Nähe in bis zu 10 % der Fälle ein intraartikulärer Verlauf der Psoassehne vorliegt und in diesen Fällen eine Verteilung des Lokalanästhetikums um den M. iliopsoas möglich ist. Auch zur Differenzierung Pubalgie und Leistenschmerz können probatorische Infiltrationen hilfreich sein. Eine Osteitis pubis lässt sich nicht durch einen Ileoinguinalen Block beeinflussen. Die Schmerzfreiheit nach Ileoinguinalem Block kann wegweisend zur Indikation für ein operatives Vorgehen bei der Sportlerleiste sein.

 

Sportlerleiste

Anatomie des Leistenkanals

Um Krankheitsbilder im Bereich der Leiste richtig einzuordnen, gilt es, zunächst die Anatomie der Leiste zu verstehen. Bei den im Bindegewebe liegenden Ursachen geht es vor allem um Veränderungen im Bereich des Leistenkanals. Dieser wird nach kaudal durch das Leistenband, nach ventral durch die Aponeurose des M. obliquus externus und nach kranial durch den M. transversus und den M. obliquus internus gebildet. Die Hinterwand besteht aus der Faszie des M. transversus und stellt den mechanisch schwächsten Teil des Leistenkanals dar. Beim Mann zieht, bedingt durch den Descensus testis im zweiten embryonalen Trimenon, der Samenstrang durch den Leistenkanal. Dieser besteht aus dem Vas deferens, der A. testicularis, dem venösen Plexus pampiniformis und einem autonomen Nervengeflecht (Plexus testicularis). Bei der Frau ist es das Lig. teres uteri, das durch den Leistenkanal verläuft. Nerven, die im Leistenkanal verlaufen, sind der N. ilioinguinalis und der R. genitalis des N. genitofemoralis, wobei die Verläufe vielfach eine anatomische Lagevariabilität haben. Diese Nerven sind ausschließlich für die oberflächliche Hautsensitivität in der Leistenregion zuständig. Anatomisch wird der innere Leistenring (Anulus inguinalis profundus), der lateral den inneren Eingang in den Leistenkanal bildet, vom äußeren Leistenring (Anulus inguinalis superficialis) unterschieden, der medial den Ausgang des Leistenkanals darstellt. Von einer indirekten Leistenhernie spricht man, wenn eine Vorwölbung des Peritoneums (Bruchsack) durch den inneren Leistenring hindurchtritt. Eine direkte Leistenhernie liegt vor, wenn sich der Bruchsack durch die Hinterwand des Leistenkanals hindurchdrückt.

 

Begriffsbestimmung

Schwieriger wird die Diagnosestellung, wenn trotz aller Diagnostik und konservativen Maßnahmen der Schmerz in Ruhe verschwindet, sich aber unter Wiederaufnahme der Belastung zurückmeldet und keine echte Hernie nachweisbar ist. Hier gelangt man in eine „Grauzone“, die in den letzten Jahren zunehmend an Interesse gewonnen hat. Die Nomenklatur ist erstaunlich vielseitig: Man spricht von der „Sportlerleiste“, der „Sportlerhernie“, der „weichen Leiste“, der „Hernia incipiens“, der „Symphysitis“, der „Pubalgie“, dem „pubic inguinal pain syndrome“ (PIPS), der „pubic bone stress injury“, dem „Dysbalance-Syndrom“, der „Gilmore‘s groin“ oder der „inguinal disruption injury“. Die Vielzahl der Begriffe lässt das Problem bereits erkennen. Kaum ein Beschwerdekomplex wird zwischen Sportmedizinern, Orthopäden und Chirurgen so kontrovers diskutiert wie dieser. Viele Autoren haben sich an einer pathophysiologischen Erklärung und entsprechenden Definition versucht, von denen sich aber keine durchsetzen konnte. Einigkeit besteht heute nur darüber, dass es sich nicht um eine klassische Hernie handelt. Der Begriff „Gilmore‘s groin“ wurde 1980 von O.J. Gilmore geprägt. Er beschreibt eine Schwächung oder Ausdünnung des M. obliquus externus und seiner Faszie bzw. Dilatation des äußeren Leistenrings in Verbindung mit einer Separation der „conjoint tendon“ vom Leistenband und Schlaffheit der Transversalisfaszie. Das „imbalance syndrome“ oder auch „dysbalance syndrome“ erklärt die Beschwerdesymptomatik durch den Muskelzug des M. rectus abdominis auf der einen Seite und dem M. adductus longus auf der Gegenseite der Symphyse. Durch einseitige Belastung kann sich hier ein Ungleichgewicht entwickeln. Die physiologische Biomechanik wird dadurch gestört, und es kommt zu Einrissen an den Sehnenansätzen. Dies kann wiederum einen Leistenschmerz auslösen. Meyers spricht von einem „pubic joint“ und schreibt dem Leistenband und Schambein eine gelenkartige Funktion zu. Durch ein Ungleichgewicht der adduzierenden und abduzierenden Kräfte werden Schmerzen hervorgerufen, die durch Scherkräfte an muskulofaszialen Ansätzen am Os pubis entstehen. Die „Osteitis pubis“, im spanischen Sprachraum auch „Pubalgia athletica“ genannt, entsteht durch repetitiven Stress des muskulotendinösen Komplexes am Schambeinansatz. Auch eine vermehrte Spannung durch Muskelzug am Os pubis, wie bei der Sportlerleiste durch Retraktion des M. rectus abdominis, kann dafür ursächlich sein. David Lloyd aus England sieht als Ursache der Leistenschmerzen vor allem eine erhöhte Spannung am Leistenbandansatz am Os pubis. Um diese Spannung zu beseitigen, hat er ein nach ihm benanntes Verfahren entwickelt, das „Lloyd-Release“. Hierbei wird laparoskopisch das Leistenband an seinem Ansatz durchtrennt und anschließend eine laparoskopische Netzverstärkung durchgeführt. Die bisherigen Definitionsversuche bleiben unbefriedigend und sehen den Beschwerdekomplex der Sportlerleiste eher als eine Ausschlussdiagnose. So beschreiben Farber et al. die Sportlerhernie als einen „nicht anders zu erklärenden chronischen Leistenschmerz“. Eine ungewöhnliche Erklärung für den Leistenschmerz hat Harmon[formuliert: „Phänomen von chronisch aktivitätsbezogenen Leistenschmerzen, welche unempfänglich für konservative Therapie aber eine signifikante Verbesserung durch eine operative Therapie erfahren“. Demnach führt erst eine erfolgreiche Operation zur richtigen Diagnose.

Im Gegensatz dazu sehen wir in der Sportlerleiste keine Ausschlussdiagnose, sondern eine klare abgrenzbare Pathologie, die durch typische Beschwerden, reproduzierbare klinische und sonographische Untersuchungsergebnisse untermauert und den intraoperativen Befund belegt ist.

 

Eigene Definition

Bei der Sportlerleiste liegt eine umschriebene Schwäche im medialen Anteil der Leistenkanalhinterwand vor. Hierdurch kommt es zu einer lokalisierten Vorwölbung der Transversalisfaszie nach ventral in den Leistenkanal hinein. Dies führt bei Anspannung der Bauchdeckenmuskulatur und bei abrupten Bewegungen zu einem für die Sportlerleiste typischen Schmerz, welcher durch Kompression des R. genitalis des N. genitofemoralis hervorgerufen wird. Zusätzlich führt diese Schwäche der Leistenkanalhinterwand zu einer Erweiterung des Leistenkanals mit Retraktion des lateralen Anteils des M. rectus abdominis an seinem Ansatz am Os pubis (Abb. 4). Dies erklärt die lokalisierten Schmerzen und konsekutiv die Entwicklung eines Knochenmarködems im Bereich des Os pubis (Pubalgia athletica, Osteitis pubis). Dieser pathophysiologische Ansatz deckt sich mit den Ergebnissen von Swan und Wolcott, die in einer Übersichtsarbeit vor allem eine Schwäche in der Hinterwand des Leistenkanals als Ursache für die chronischen, aktivitätsbezogenen Leistenschmerzen beschreiben. Dies steht im Widerspruch zur Auffassung anderer Autoren, die in der Entstehung der Sportlerleiste ursächlich eine „groin disruption“ (Einriss) sehen und damit eine Verletzung der „conjoint tendon“, der sichelförmigen gemeinsamen Sehne von M. transversus und M. obliquus internus am Schambeinrand. Demnach sollten bei der operativen Exploration in diesem Bereich narbige Veränderungen mit fehlendem Sehnenspiegel nachweisbar sein. Im eigenen Patientenkollektiv konnte bei keinem der von uns operierten Patienten diese verletzungsbedingte Pathologie beobachtet werden. Histologische Untersuchungen der medialen Leistenkanalhinterwand von Amato et al. konnten vielmehr in Gewebebiopsien vom Faszienrand direkter Hernien eine signifikante degenerative Veränderung mit fibrohyaliner Degeneration nachweisen. Auffällig waren dabei auch Veränderungen der nervalen Strukturen mit Ödem, degenerativer Fibrose und Atrophie. Unterstützend für die Definition der Sportlerleiste als Schwäche der Leistenkanalhinterwand mit konsekutiver Nervenkompression sind auch die eigenen Ergebnisse der histologischen Aufarbeitung der resezierten Nervenanteile des R. genitalis. Hierbei konnte immer eine perineurale Fibrose nachgewiesen werden.

Schmerzsymptomatik bei der Sportlerleiste

Die Patienten geben meist für eine Sportlerleiste typische Beschwerden an. Die Schmerzen sind ziehend, teilweise stechend und haben fast immer eine Ausstrahlung Richtung Oberschenkelinnenseite (Adduktorenansatz) sowie zur Außenseite des Skrotums. Häufig hat der Schmerz auch einen brennenden, fast elektrisierenden Charakter, was ein eindeutiger Hinweis für eine Nervenkompression ist und eine Differenzierung insbesondere zu Adduktorenpathologien erlaubt. Diese Nervenkompression entsteht, wenn die für eine Sportlerleiste typische Protrusion der Leistenkanalhinterwand bei Anspannung der Bauchmuskulatur den Nerven lokal komprimiert. Die Schmerzausstrahlung in Richtung Schambein kann neben der nervalen Ursache auch durch die mediale Retraktion des M. rectus abdominis ausgelöst werden. Diese Retraktion entsteht durch die Erweiterung des Leistenkanals, die bei der Sportlerleiste vorliegt. Hierdurch lässt sich die Entwicklung eines Knochenmarködems im Bereich des Os pubis erklären, das durch die vermehrte Spannung aufgrund der mediokranialen Retraktion des M. rectus abdominis ausgelöst wird.

Therapie der Sportlerleiste

Bei der Versorgung von Sportlerleisten wird das ideale Therapiekonzept weiterhin kontrovers diskutiert. Es fehlen prospektiv randomisierte Studien, welche die verschiedenen therapeutischen Ansätze und Verfahren vergleichen. Der Evidenz liegen nur Kasuistiken und Kohortenstudien (Level III–IV) sowie Expertenmeinungen (Level V) zugrunde. Ein Positionspapier der Britischen Hernia Society besteht ebenfalls nur aus der Sammlung von Expertenmeinungen. Die Therapie richtet sich vor allem nach der „vermuteten“ zugrundeliegenden Ursache. Sie reicht von Schonung und anschließenden konservativen Trainingsprogrammen bis hin zu teils aufwendigen Operationen. Grundsätzlich gilt, je mehr die Beschwerden in Richtung Symphyse/Adduktoren ausstrahlen, desto eher sollte zunächst ein konservativer Ansatz gewählt werden und vice versa; je mehr nach inguino-skrotal, desto eher operativ.

Abb. 5

Konservative Therapie

Vor allem traumatische Ursachen des Leistenschmerzes, Zerrungen, Risse, Entzündungen und Reizungen sind der konservativen Therapie zugänglich. Hierbei wird durch Schonung der auslösende Reiz vermieden. Zusätzlich können durch antiinflammatorische Medikation und/oder lokale Injektion von Kortikosteroiden, Traumeel und Dextrose die Beschwerden gebessert werden. Ergebnisse zur Eigenblutbehandlung/plättchenreichem Plasma (PRP) liegen noch nicht in größerer Fallzahl vor. Intensive physiotherapeutische Programme mit Stretching und Friktionsbehandlungen sowie Massagen haben einen wichtigen Stellenwert im Rahmen der sportlichen Rehabilitation. Zusätzlich werden Koordinations- und Stabilisationsübungen zum Ausgleich muskulärer Dysbalancen sowie osteopathische Maßnahmen durchgeführt. Über die Dauer eines konservativen Therapieversuches gibt es unterschiedliche Meinungen, wobei der zeitliche Druck vor allem bei professionellen Sportlern durch Mannschaft und Verein nicht zu unterschätzen ist.

Operative Therapie

Prinzipiell werden 3 unterschiedliche operative Verfahren diskutiert, welche die verschiedenen pathophysiologischen Ansätze widerspiegeln, die aber auch häufig kombiniert werden: Geht man von einer Nervenkompression aus, so sollte eine lokale Neurolyse oder Neurektomie erfolgen. Für die „Imbalance“ der beteiligten Muskulatur werden neben Refixationen des lateralen Rektusmuskelrandes auch sog. Releasing-Verfahren vorgeschlagen, partielle Tenotomien von M. rectus und/oder Adduktorenmuskulatur bis hin zur laparoskopischen Durchtrennung des Lig. inguinale. Außerdem wird die Stabilisierung der umschriebenen Schwäche/Vorwölbung der Leistenkanalhinterwand mit oder ohne Netzverstärkung empfohlen. Trotz unterschiedlicher Ansichten über die pathophysiologische Ursache von Leistenschmerzen, beinhaltet die operative Therapie in den meisten Fällen eine Stabilisierung der Leistenkanalhinterwand. Diese wird in Abhängigkeit vom operativen Zugangsweg ggf. mit einer Neurolyse/Neurektomie und oder einem zusätzlichen Releasing-Verfahren kombiniert. Im Jahr 2002 wurde auf dem 111. Internationalen Fußballkongress in Madrid erstmals ein neues offenes Nahtverfahren zur Versorgung von Sportlerleisten vorgestellt, die Minimal-Repair-Technik nach Muschaweck, die wurde durch die Autorin auch 2002 in Hernia erstmals publiziert. Hierbei wird selektiv der Hinterwanddefekt unter Schonung der intakten Anteile mittels einer Fasziendopplung repariert. Durch Einbeziehung des lateralen Rektusrandes in die Nahtreihe wird dieser lateralisiert und die bei einer Sportlerleiste erhöhte Spannung am Schambeinansatz reduziert. Dieses Operationsverfahren, das in Lokalanästhesie im tageschirurgischen Setting durchgeführt werden kann, vermeidet den Einsatz großflächiger, nichtresorbierbarer Kunststoffprothesen und ermöglicht den Erhalt des Muskelgleitlagers. Wichtig ist hierbei die Möglichkeit, eine Schädigung des komprimierten R. genitalis zu erkennen und ggf. eine Neurolyse oder Neurektomie zeitgleich durchzuführen. Diese Beurteilung ist bei einem laparoskopischen Vorgehen nicht möglich und birgt das Risiko der Schmerzpersistenz durch Belassung des geschädigten Nervens. In einer prospektiven Kohortenstudie mit 129 Patienten, davon 67 % professionelle Sportler, konnte die Effektivität der Minimal-Repair-Technik nachgewiesen werden. So konnten die operierten Sportler im Durchschnitt nach 7 Tagen das Training wiederaufnehmen [„interquartile range“ (IQR) 4 bis 14 Tage]. Nach 14 Tagen waren 80 % der Sportler beschwerdefrei und konnten an ihre alte Form anknüpfen.

Nachbehandlung

Die Rekonvaleszenz nach einem erfolgten operativen Eingriff umfasst in der Regel einen Zeitraum von mindestens 2 bis 6 Wochen. Die Nachbehandlung sollte in enger Zusammenarbeit mit einem speziell ausgebildeten Physiotherapeuten erfolgen. Ähnlich wie nach Leistenhernien Reparationen ist die früher postulierte Schonung und das Vermeiden schweren Hebens heute obsolet. „Do what you feel you can do“ ist heute die Ansage an den Patienten. Die Druckbelastung eines Husten- oder Niesstoßes liegt deutlich höher und diese ist im postoperativen Verlauf auch nicht zu vermeiden. Gerade nach offenen Nahtverfahren wie dem Minimal-Repair ist eine schnelle Rückkehr zur normalen Aktivität und Wiederaufnahme des sportlichen Trainings möglich. Bei komplexeren operativen Eingriffen wie dem „Anterior pelvic floor repair“ nach Meyers ist eine Rückkehr zum vollen Training oft erst nach 8 bis 12 Wochen realistisch.



Die AUTOREN

Dr. Andreas Koch ist Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie. Seit 2006 in eigener Praxis für Viszeral- und Hernienchirurgie. Seit 2003 ist Dr. Koch der Mannschaftsarzt des FC Energie Cottbus und ist außerdem kooperierender Arzt des Olympiastützpunktes Cottbus sowie des DEL2 Teams der Lausitzer Füchse. Der wissenschaftliche Schwerpunkt liegt in der Hernienchirurgie, wo Dr. Koch zahlreiche Vorträge, Publikationen und Buchbeiträge vorzuweisen hat. Er ist Mitglied der Deutschen, Europäischen, Canadischen und Amerikanischen Herniengeselschaft sowie Honorary Member der Rumänischen Herniengesellschaft. Dr. Koch war Tagungspräsident der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) 2013.

Frau Dr. Ulrike Muschaweck hat seit 1989 ihren wissenschaftlichen und operativen Schwerpunkt der Hernienchirurgie gewidmet. 1993 gründete sie mit dem Hernienzentrum Muschaweck in München das erste ambulanten OP Zentren für Hernienchirugie in Deutschland. Das von Frau Dr. Muschaweck entwickelte Operationsverfahren wurde erstmalig 2002 bei der 100-Jahre Feier von Real Madrid in Madrid veröffentlicht und wird „Minimal-Repair-Technik“, oder auch „Muschaweck-Repair“ genannt und wurde seither bei zahlreichen nationalen und internationalen Hochleistungssportlern erfolgreich angewandt. Frau Dr. Muschaweck ist Mitglied der Deutschen, Europäischen und Amerikanischen Herniengesellschaft und war Tagungspräsidentin der DHG 2008.