Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Sport mit körperlichen Behinderungen – Was gilt es zu beachten

Begriffe, Behinderungsarten und Klassifizierung

Der Begriff „Paralympic“ stammt vom Griechischen „Para“ (neben) und „Olympic“ und wurde kreiert da die paralympischen Spiele initial parallel zu den olympischen Spielen abgehalten wurden. Para Sport bezeichnet den  Wettkampfsport mit einer Behinderung wohingegen Behindertensport also Rehabilitations- und Breitensport wesentlich umfassender und inklusiver ist. So kann u.a. eine Vielzahl von Sportarten mit Behinderungen ausgeübt werden – wesentlich mehr als die aktuell 28 paralmypischen Sportarten. Auch die Behinderungsarten sind vielfältiger als diejenigen welche im Wettkampfsport „klassifizierbar“ sind.  Um am internationalen Wettkampfgeschen teilzunehmen ist die Klassifizierung Vorrausetzung. Dabei werden die Sportler*innen entsprechen dem Ausmaß ihrer Funktionsbeeinträchtigungen in Leistungsklassen eingeteilt, um die  Leistungen vergleichbar zu machen.

Die wichtigsten klassifizierbaren körperlichen Behinderungsarten sind:

1. Beeinträchtigung der Muskelkraft (z.B. Para- und Tetraplegie, Muskeldystrophie, Folgen der Poliomyelitis und die Spina Bifida)

2. Beeinträchtigung der passiven Gelenkbeweglichkeit

3. Fehlen von Gliedmaßen (Amelie, Dysmelie, St. nach Amputationen)

4. Beeinträchtigung durch unterschiedliche Beinlänge

5. Kleinwuchs

6. Muskelhypertonie und

7. Ataxie (u.a. in Folge einer infantilen Zerebralparese, eines Schädelhirntraumas, eines cerebralen Insults oder bei Multipler Sklerose)

8. Athetose

9. Beeinträchtigung der Sehfähigkeit

Hörgeschädigte habe eigene Weltspiele, die sog. Deathlympics und intelektuell beeinträchtige Menschen starten in der Regel bei den Special Olympics.

Organisation des Behindertensports in Deutschland und Zugang zum Sport

Primär zuständig für den Sport von Menschen mit Behinderungen ist der Deutsche Behindertensportverband (DBS) e. V. mit seinem Hauptsitz in Frechen. Er ist der Spitzenverband für Leistungs-, Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport und darüber hinaus Nationales Paralympisches Komitee für Deutschland. Mit fast 6.300 Vereinen und rund 510.000 Mitgliedern gehört der DBS zu den weltweit größten Sportverbänden für Menschen mit Behinderung. Die Internetseite des DBS und insbesondere die Seite „Parasportfinder“ (www.dbs-npc.de, www.parasport.de) sind sehr hilfreich, um sich über alle Themen rund um den Behindertensport zu informieren aber auch um geeignete Sportarten zu finden, die für bestimmte Beeinträchtigungen empfohlen werden können. Diese sind auch im Handbuch Behindertensport (www.dbs-media.de/handbuch-behindertensport) detailliert beschrieben. Die einzelnen Landesverbänden des DBS helfen regionale Sportangebote zu finden, vom Rehabilitationssport bis zum Spitzensport. Inzwischen sind auch in vielen Sportverbänden sogenannte «Inklusionsmanager» tätig, welche Kontakte vermitteln.

Sport mit Behinderung im Kindes- und Jugendalter

Kinder haben intrinsisch einen sehr hohen Bewegungsdrang, den es bereits im frühesten Kindesalter zu unterstützen gilt. Dies gilt für Kinder mit Behinderungen aber in besonderem Maße, da diese im späteren Leben noch ausgeprägter von Bewegungsmangel betroffen sind und immer noch zahlreiche Barrieren zu überwinden haben, bevor gleichberechtigtes Sporttreiben die Regel sein wird. Im sog. «Teilhabebericht» der Bundesregierung, der regelmäßig (zuletzt 2021) veröffentlich wird, finden sich interessante demographische Daten zu Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen. So leben diese u.a. häufiger mit einem alleinerziehenden Elternteil als Kinder und Jugendliche ohne Beeinträchtigungen (17 vs. 11 %) und treiben deutlich weniger Sport. 39 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen treiben gar keinen Sport, bei Kindern und Jugendlichen ohne Beeinträchtigungen beträgt dieser Anteil 27 Prozent (vgl. Abbildung 2

Quelle: Teilhabebericht der Bundesregierung 2021

Dies verdeutlicht noch einmal eindrucksvoll den Handlungsbedarf, der hier besteht. Daher wird sich u.a, ein Artikel in der SOT 01/2024 speziell mit den Aspekten des Kindersports mit Behinderungen beschäftigen. Einige ausgewählte Aspekte seien hier noch erwähnt. Das Deutsche Sportabzeichen kann auch von Menschen mit Behinderung absolviert werden. Dafür existiert ein ange­passter Leistungskatalog, in dem verschiedene Behinderungsklassen berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt es behinderungsspezifische Disziplinen, wie z. B. Roll­stuhl-Parcours, Geschicklichkeitsgehen oder Zielwerfen im Bereich der Koordina­tion.

Bundesjugendspiele und „Jugend trainiert“ gibt es ebenfalls für Schüler*innen mit Behinderung. Zudem existiert seit 2012 der Bundeswettbewerb Jugend trainiert für Paralympics. Die Idee ist es, den sportlichen Wettkampfgedanken in die Förder- und Regelschulen zu transportieren. Die Ausbildung und Vorbereitung der Schulteams für diese Wettbewerbe bieten eine gute Möglichkeit der Zusammenarbeit von Schulen und Sportvereinen. Neben dem Schulsport bieten sich Schnupperangebote und Mit­mach-Events an, um Kinder und Jugendliche mit Behinderung für den Vereinssport zu begeistern. Ein Beispiel sind die TalentTage der DBSJ (www.dbs-npc.de/TalentTage.html). Die Schnuppertage werden jedes Jahr von Vereinen und Verbänden lokal oder regional im gesamten Bundesgebiet in un­terschiedlichen Sportarten angeboten. Die TalentTage richten sich vor allem an diejenigen, die bisher noch keinen Kontakt zum organisierten Sport hatten und erste Erfahrungen sammeln möchten.

Medizinische Besonderheiten im Behindertensport

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Epidemiologie von Erkrankungen und Verletzungen bei Para Athleten haben in den letzten 15 Jahren erheblich zugenommen. Während bereits seit 2002 epidemiologische Studien bei den Winter-Paralympics durchgeführt wurden, begann das systematische Monitoring von Verletzungen und Erkrankungen bei den Paralympischen Sommerspielen erst 2012. Die Ergebnisse dieser Studien waren sehr wichtig, um die medizinischen Probleme paralympischer Sportler besser zu verstehen, ihre medizinische Versorgung zu planen und Präventionsstrategien zu implementieren.

Die wichtigsten Erkenntnisse der epidemiologischen Studien sind:

Sportler*innnen mit Behinderungen zeigen deutlich höhere Krankheitsraten und etwas höhere Verletzungsraten wie olympische Athlet*innen.. Darüber hinaus unterscheiden sich insebsondere die Verletzungsmuster erheblich zwischen den beiden Populationen und auch zwischen den Behinderungsarten, den Sportarten und Disziplinen innerhalb des Para-Sports.

Die Inzidenzrate von Verletzungen ist bei den Paralympischen Winterspielen ist etwa doppelt so hoch wie bei den Sommerspielen. Schwere Verletzungen, einschließlich Kopfverletzungen, Frakturen und Quetschverletzung sind hier vermehrt zu finden, was wahrscheinlich auf die Hochgeschwindigkeitselemente beim Para-Eishockey und beim Alpinskifahren zurückzuführen ist.

Über alle Sportarten betrachtet, dominieren bei den Verletzungen im Para-Sport die oberen Extremitäten während bei olympischen Athleten Verletzungen der unteren Extremitäten am häufigsten zu finden sind. Der am häufigsten betroffene anatomische Bereich ist bei paralympischen Rollstuhlsportlern die Schulter, gefolgt von Handgelenk und Händen. Schulterverletzungen sind in erster Linie überlastungsbedingt, da das Antreiben des Rollstuhls hohen Stress auf die Schultergelenke ausübt. Handverletzungen können durch Reibung schleifender Rollstuhlreifen oder bei Kollisionen der Rollstühle in Mannschaftssportarten auftreten. Beim Para-Alpinskifahren besteht bei den Krückenstöcken das Risiko, dass da die Athleten mit diesen in die Tore einfädeln. Auch Schädelhintraumata treten häufig auf, einerseits im Blindenfussball, anderseits im Ski Alpinbereich.

Das Risiko schwerer Verletzungen ist bei behinderungsbedingten Koordinationsstörungen, beeinträchtigtem Gleichgewicht sowie bei verminderter Knochendichte erhöht.

Krankheitsraten sind bei paralympischen Athleten höher als bei olympischen Athleten. Der Urogenitaltrakt, Haut- und Unterhautgewebe sowie das Verdauungssystem sind, neben den Atemwegen, die am stärksten von Krankheiten betroffenen Systeme.

Sportarttypische Verletzungen

©Oliver Kremer, DBS 

Wenn Sportarten in ähnlicher Form wie im Regelsport ausgeübt werden können treten oft auch analoge Verletzungsarten auf – beispielsweise Clavicualfrakturen im Radsport wie das nachstehende Beispiel von der diesjährigen Radsportweltmeisten in Glasgow zeigt. Dieses Event war dahingehend beachtlich, dass diese WM erstmalig als  komplett inklusives Event aller Sparten des Radsports ausgetragen wurden. 

Im Parasport werden Wettkämpfe auf der Bahn und der Strasse abgehalten. Sportler*innen mit Extremitätenbehinderungen oder leichtergradigen spastischen Behinderungen treten auf „normalen“ Zweirädern  -ggf. mit Hilfsmitteln – gegeneinander an wohingegen dies für Menschen mit kompletter Querschnittslämung und höhergradigen spastischen Lähmungen oder Sehbehinderungen nicht möglich ist. Diese bestreiten ihre Wettkämpfe im Handbike, auf einem Dreirad oder Tandem.

Behinderungstypische Verletzungen

©A. Hirschmüller

Insbesondere Querschnittslähmungen gehen durch die Schädigung des Rückenmarks mit erheblichen Veränderungen des Stoffwechsels, des Herz-Kreislaufsystems, der Atmung sowie mit Muskelatrophie und Osteoporose unterhalb der Lähmungshöhe einher. Die Schädigung des sympathischen Nervensystems beeinträchtigt die Kreislaufregulation sowohl in Ruhe als auch unter Belastung. Die Inaktivität der Beine und die damit verbundenen Atrophie der Beinmuskulatur verändern den peripheren Blutfluss . Diese Einschränkungen können zum Auftreten von Komplikationen wie Venenthrombosen, Ödeme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Druckulzera führen. Eine Verletzung des Halsmarkes und oberen Brustmarkes führt außerdem zu einer Störung der sympathischen Innervation des Herzens und zum Versagen des belastungsinduzierten Anstiegs des Katecholaminspiegels. Tetraplegiker zeigen daher eine verringerte maximale Herzfrequenz. Orthostatische Dysregulationen sowie ein unzureichender Anstieg des Blutdrucks während des Trainings sind bei Sportlern mit Lähmungshöhe über Th 6 häufig. Die Schädigung des autonomen Nervensystems führt auch zu einer verminderten Thermoregulation, einschließlich einer verminderten kardialen Perfusion und einer verminderten Schweißrate. Infolgedessen kann die Hitzetoleranz insbesondere bei Athleten mit höheren Lähmungshöhen erheblich verringert sein. Aufgrund eines läsionsabhängigen Verlusts der Innervation der Atem- und/oder Atemhilfsmuskulatur ist auch die Atemfunktion beeinträchtigt. Da das Atemzugvolumen und die Vitalkapazität vom Läsionsgrad und der Läsionshöhe abhängen, sind Personen mit kompletter Tetraplegie am stärksten betroffen.

Von Erkrankungen sind bei Querschnittsgelähmten Athleten neben der Lunge vor allem das Urogenitalsystem, der Magen-Darm-Trakt und die Haut betroffen. Harnwegsinfektionen treten häufig auf. Die Literatur zeigt, dass die Art des Blasenmanagements, die verwendeten Blasenkathetertypen sowie die Menge der Flüssigkeitsaufnahme das Risiko von Harnwegsinfektionen beeinflussen können. Von Seiten des Bewegungsapparates sind bei Rollstuhlfahrern insbesondere die Schultern mechanisch stark belastet. Hände und Finger werden mit am häufigsten verletzt. Dies gilt es unbedingt präventiv zu adressieren, da bei einer Mindergebrauchsfähigkeit der oberen Extremitäten auch die Selbstversorgung dieser Menschen gefährdet ist

Prof. Dr. med. Anja Hirschmüller

ist Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und leitende Ärztin der Altius-Klinik Rheinfelden. Sie hat umfangreiche Erfahrung in der Betreuung von (Leistungs-)SportlerInnen mit und ohne Behinderungen und ist leitende Ärztin des deutschen Behindertensportverbandes.

Sie war bei vielen Paralympischen Spielen als Chief Medical Officer des Team Deutschland Paralympics tätig. Ihre klinischen Tätigkeitsschwerpunkte sind die konservative und operative Behandlung von Muskel- und Sehnenverletzungen, des funktionellen Kompartmentsyndroms sowie die Ultraschalldiagnostik am Bewegungsapparat.