Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

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Gesundheit geht vor: Prävention im Klettern

Klettern:

Spätestens mit der erstmaligen Austragung Olympischer Kletter-Wettkämpfe hat die Sportart weltweite Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Leistungssportler trainieren heutzutage sowohl an echtem Fels als auch an künstlichen Wänden; Kletterwettbewerbe werden jedoch fast ausschließlich an künstlichen Wänden ausgetragen.1 Im Vergleich zum Klettern am Fels ermöglicht das Klettern an künstlichen Wänden mehr akrobatische Bewegungen und hat zur Entwicklung verschiedener Kletterdisziplinen beigetragen.1 (Abb.1, 2) Die Teildisziplinen Vorstieg und Bouldern erfordern ähnliche körperliche Fähigkeiten während Speed insb. Explosivkraft der unteren Extremitäten erfordert.1 

Prävention im Spitzensport – Allgemeine und spezifische Präventivmaßnahmen

Mehrere Studien zu neuromuskulären Trainingsprogrammen konnten deren präventive Wirksamkeit im Klettersport noch nicht eindeutig nachweisen.3 Gronert et al. zeigten jedoch unlängst in ihrer Analyse eines vierwöchigen Rehabilitationsprogramms (sog. „Adjunct Compensatory Training“, ACT), dass dieses bei Kletterern mit Überlastungsbeschwerden der Schulter zu einer Verbesserung der Schmerzsituation, der Alltagsbeeinträchtigungen, des Bewegungsausmaßes und der Kraft führt. Die Autoren gehen davon aus, dass das regelmäßig durchgeführte Training die Schulterbeschwerden auch auf lange Sicht verbessert und das Programm zugleich präventiv wirken kann.

Für einige weitere sportartspezifische Präventionskonzepte, deren Wirksamkeit objektiv unbestritten ist, gibt es noch immer wenig Evidenz.3 Dazu gehören ein ausreichender Bodenschutz (Matten) mit geschlossenen Nahtverbindungen beim Bouldern, dynamische Sicherungstechnik (Seilsicherungstechnik) beim Lead und ein angepasster Routenbau. Andere spezifische Maßnahmen wie das Taping der Finger wurden detaillierter untersucht. Josephsen et al. zeigten in ihrer Arbeit mit 152 Athleten, dass sich das präventive Taping bei Fingerverletzungen als nicht (!) präventiv erwies.4Woollings et al. zeigten in ihrer Querschnittsstudie an n=116 Athleten, dass Kletterer, die ein rein präventives Fingertape anlegten, sogar ein erhöhtes Risiko für Fingerverletzungen aufwiesen.

Die Verletzungswahrscheinlichkeit war dabei mit Taping mehr als fünfmal höher (95 % CI 1,4 bis 18,0).5 Hingegen ist der positive Einfluss auf die Reduktion von Re-Verletzungen durch Tapen in mehreren Studien nachgewiesen worden, insb. nach Ringbandverletzungen.5 Neben Verletzungen an den Fingern leiden Kletterer mitunter an Verletzungen oder Überlastungsschäden im Bereich der Füße; Beschwerden im Bereich der Zehen wurden dabei mit bis zu 65% aller Fußverletzungen beschrieben.

Die Mehrzahl der Fußverletzungen resultiert dabei aus dem Tragen von zu kleinen Schuhen, einem Faktor, der leicht behoben werden kann.

Trainings- und Wettkampfmodifikationen

In einer prospektiven Analyse der deutschen Junioren-Nationalmannschaft (im Vergleich zu einer Gruppe von Freizeitkletterern) konnten wir in den vergangenen Jahren zeigen, dass folgende Faktoren signifikant zu einer frühzeitigen Entstehung einer Arthrose der Fingergelenke beitragen: Gesamtzahl der Trainingsjahre, Einsatz von Campus-Board-Training und ein frühes hohes Kletterniveau. Für jüngere Athleten ist eine Anpassung der Trainings- und Wettkampfformate besonders wichtig. 

Obwohl es keine großen prospektiven Vergleichsstudien zur Risikobewertung spezifischer Kletterdisziplinen oder Fingertrainingsmethoden im Jugendalter gibt, heben eine Vielzahl von Fallberichten und Serien das Risiko von Wachstumsfugenverletzungen durch die enorme Belastung hervor. Bis zu 50 % der epiphysären Frakturen treten beim Bouldern auf.

Eine genaue Beobachtung der Fingerwachstumsfugen bei jugendlichen Kletterern ist daher essentiell. Ein intensives isoliertes Fingerkrafttraining, insbesondere mit Zusatzgewichten, ist bei jugendlichen Sportlern aus den oben genannten Gründen strikt zu meiden.

Zusammenfassend kann empfohlen werden:

  • Ausreichender Bodenschutz (Matten) mit geschlossenen Verbindungen beim Bouldern.
  • Dynamische Sicherungstechnik (Seilsicherungstechnik) beim Vorstiegsklettern.
  • Angemessene Größe der Kletterschuhe (Vermeidung von zu kleinen Schuhen).
  • Sicherheitsanforderungen beim Routenbau (Positionierung von Griffen und Sicherungspunkten)
  • Limitierung von spezifischen Trainingsprogramme mit intensiver Fingerbelastung (insbesondere Campus-Board-Training)
  • Ein geschlechtsspezifisches und altersgerechtes Training unter Vermeidung eines intensiven fingerspezifischen Trainings bei jungen Sportlern vor dem Abschluss des Längenwachstums
  • Vermeidung von präventivem Fingertape; Fingertaping nach Verletzungen wird jedoch empfohlen.

Körpergewicht

Der Erfolg beim Klettern erfordert ein optimales Verhältnis von Kraft- zu Körpergewicht. Das Gewicht der Athleten bedarf deshalb im Klettersport besonderer Aufmerksamkeit. Hochintensives sportliches Training, gepaart mit den objektiven Vorteilen eines niedrigen Körpergewichtes kann im Klettersport Essstörungen begünstigen, die zu einem relativen Energiemangel im Sport (RED-S) führen; langfristige schwerwiegende Komplikationen können die Folge sein. Es ist bekannt, dass Spitzenkletterer einen niedrigeren BMI haben als Spitzensportler anderer Sportarten, selbst im Vergleich zu Langstreckenläufern.

Zusätzlich zum Fasten und zur Begrenzung der Kalorienzufuhr wurden in der Vergangenheit Appetitzügler und Diuretika eingesetzt, um das Körpergewicht zu kontrollieren. Als präventive Maßnahme gegen mögliche Essstörungen (RED-S) werden internationale Athleten daher von der medizinischen Kommission des IFSC auf ihren Body-Mass-Index (BMI) hin gescreent. Ein allgemeiner Mindest-BMI, wie er beispielsweise in Österreich für die Teilnahme an Kletterwettkämpfen erforderlich ist, ist von der IFSC nicht festgelegt und in Diskussion. Die Autoren empfehlen eine verstärkte Überwachung und frühzeitige Detektion von untergewichtigen Athleten und eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema durch die nationalen und internationalen Sportverbände.

Zusammenfassung:

Derzeit gibt es nur wenige gut konzipierte prospektive Kohortenstudien mit ausreichender Stichprobengröße. Langfristige Überwachungen von Spitzenathleten fehlen völlig. Im Klettersport wird eine qualitativ hochwertige epidemiologische Forschung benötigt, die sich an den empfohlenen Standards für die Datenerfassung und -berichterstattung orientiert. Zudem wird es zunehmend wichtig sein, dass alle (nationalen) Kletterteams von gut ausgebildeten Sportmedizinern und Physiotherapeuten betreut werden. Die Kletterverbände müssen dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen für medizinische Teams sind notwendig.

Darüber hinaus ist es essenziell, dass die Verbände Maßnahmen und Regelungen im Hinblick auf Präventionskonzepte, insbesondere im Jugendleistungssport, festlegen und umsetzen. In Anlehnung an die bereits in anderen Sportarten ergriffenen Maßnahmen (z.B. “Pitch smart”-Bewegung im Baseball zur Reduzierung von Schulter-/Ellbogenverletzungen bei jugendlichen Sportlern) wären Vorgaben zur Belastungsbegrenzung im Jugendklettern zur Reduzierung von Fingerverletzungen denkbar. Trainer müssen entsprechend geschult und ausgebildet sein, um Überlastungsschäden und akute Verletzungen bei jungen Sportlern zu vermeiden. 

Die Autoren:

Prof. Dr. med. Volker Schöffl, MHBA

ist Facharzt für Chirurgie sowie Orthopädie/Unfallchirurgie und Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Sportmedizin sowie Sektionsleiter für Sportorthopädie, -traumatologie und Chirurgie der oberen Extremität am Klinikum Bamberg. Als Verbandsarzt betreut er hauptverantwortlich die Deutschen Nationalmannschaften der Kletterer sowie der Skibergsteiger.

PD Dr. med. Christoph Lutter, M.Sc. MHBA

ist Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie und k. Leiter der Sektion Sportorthopädie an der Klinik und Poliklinik für Orthopädie der Universitätsmedizin Rostock. Wissenschaftlich befasst er sich u.a. mit dem Thema Prävention von Sportverletzungen. Darüber hinaus ist er in der Betreuung der Deutschen Nationalkader sowie in der sportmedizinischen Betreuung internationaler Kletterwettkämpfe aktiv.