Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin

Suche

Volleyball: Technik, Taktik, Intensität

Bildquelle „FIVB“
©FIVB

Im August beginnen die CEV EuroVolley 2023, die Volleyball-Europameisterschaften der Männer und Frauen. Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft um ihren Bundestrainer Vital Heynen – aktuell Platz 13 der Weltrangliste –wird in Düsseldorf an den Start gehen und visiert die Qualifikation und eine gute Ausgangssituation für die k.o.-Runde an. Die Männer beginnen ihre Gruppenphase in Italien.

Volleyball wurde 1885 von einem US-amerikanischen Collegelehrer und Basketballtrainer als Ausgleichssport erfunden. Das ursprünglich „Mintonette“ bezeichnete Spiel wurde kurze Zeit später in „Volley Ball“ umbenannt und verbreitete sich in den folgenden Jahren in der ganzen Welt und ist seit Tokio 1964 olympisch. Die Olympischen Spiele 1972 in München lösten in Deutschland einen regelrechten Boom aus. Mittlerweile gibt es 410.000 organisierte Volleyballspieler in deutschen Sportvereinen. Mit 150 Mio. Mitgliedern und 222 Mitgliedsländern ist der Internationale Volleyballverband (FIVB) hinter dem ITTF (Internationaler Tischtennisverband; 226) der zweitgrößte Sportdachverband der Welt. Volleyball ist eine der beliebtesten und verbreitetsten Sportarten weltweit.

Volleyball ist eine anaerobe, alaktazide Sportart mit moderater Ausdauer- und geringer statischen Belastung. Neben den besonderen technischen Anforderungen (der Ball darf nicht gehalten oder geführt werden), und den hohen sozialen und mentalen Herausforderungen einer Mannschaftssportart ist zu beobachten, dass die Athletik, Kraft und Schnelligkeit des Spiels in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

Eine Besonderheit des Spiels besteht beispielsweise darin, dass die meisten Ballaktionen in einem Luftraum zwischen 2,24m (Netzhöhe Frauen, Männer 2,43m) und 3,70m Höhe stattfinden: Die Spieler sind einer hohen Sprungbelastung ausgesetzt, zudem ist die Landezone unter dem Netz eng begrenzt. Hier ist ein Kontakt mit dem Gegner nicht selten und der wichtigste Grund für die häufigste Verletzung im Volleyball: das Supinationstrauma des oberen Sprunggelenkes. Die Belastung für die Kniegelenke ist ebenfalls enorm.

Mit dem Aufschlag, dem oberen Zuspiel, dem Angriff und dem Block werden vier technische Spielelemente über dem Kopf ausgeführt Das bedeutet eine hohe Belastung für das Schulter- und das Schulterdachnebengelenk. Dementsprechend häufig sind bei Volleyballspielern Überlastungsreaktionen im Schulterbereich zu finden.

Charakteristisch für Volleyball ist eine hohe technische und taktische Komplexität. Daraus resultiert eine hohe Trainingsintensität nicht nur im Hochleistungsbereich. Spitzenmannschaften trainieren 2- bis 3-mal täglich, Trainingsbelastungen von 25 Stunden pro Woche und mehr sind die Regel, ein Spitzenspieler absolviert weit über 300 Maximalsprünge pro Trainingstag und mehr als 40.000 pro Jahr. Dadurch sind die Spieler durch Ermüdung und Überlastung besonders verletzungsanfällig

Im Vergleich zu anderen Sportarten liegt die Inzidenz für Verletzungen mit 4,2/1000 Stunden respektive 60/1000 Sportlerjahre im mittleren Bereich und damit unter der Inzidenz der Kontaktsportarten Etwa 5% aller Sportverletzungen sind volleyballbedingt.

Volleyballtypische Verletzungen

Die hohe Trainings- und Spielbelastung und der fehlende Körperkontakt zum Gegner haben zur Folge, dass chronische Verletzungen und Überlastungsschäden weitaus häufiger vorkommen als akute.

Chronische Verletzungen

  • Lendenwirbelsäule (LWS): MRT-Studien zeigen einen linearen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Jahre, die ein Volleyballspieler professionell trainiert hat, und den degenerativen Veränderungen der unteren LWS. Hier zeigen sich vor allem Facettenarthrosen, Flüssigkeitsverlust der Bandscheiben und erosive Osteochondrosen, insbesondere bei bestehenden Hyperlordosen.
  • Knie: Patellaspitzensyndrome und Retropatellararthrosen sind bei der hohen Sprungbelastung sehr häufig. Oft findet sich eine relative Schwäche der Oberschenkelmuskulatur (Hamstrings und/oder Vastus medialis)
  • Schulter: Wie bei allen Überkopfsportarten ist die Schulter beim Volleyball erheblich belastet. Supra- und vor allem auch Infraspinatussyndrome sowie subacromiale Impingementsyndrome sind weit verbreitet. Häufige Ursache hierfür ist eine bei den Athleten oft zu beobachtende erhebliche Kyphosierungstendenz der BWS sowie die mangelnde Stabilität der dorsalen Schulterkette und der Rhomboidei („Scapula Setting“)
  • „Volleyballschulter“: Eine Besonderheit ist die so genannte Volleyballschulter, das N. suprascapularis-Syndrom mit konsekutiver Infraspinatus-Atrophie mit einer Inzidenz von bis zu 25 Prozent bei Spitzenmannschaften. Die Ätiologie ist bis heute nicht befriedigend geklärt. Wird frühzeitig operiert, bildet sich die Infraspinatusatrophie wieder zurück, in der Regel bleibt aber eine charakteristische Delle unter der Spina scapulae bedingt durch den fehlenden Infraspinatus. Die Entstehung ist oft schleichend und ist nicht unbedingt mit einem Schmerzereignis verbunden.
  • Achillessehne: Wie bei einer Sprungsportart nicht anders zu erwarten, finden sich sehr häufig Reizzustände der Achillessehne bei Volleyballern. Als Ursachen dafür sind Verkürzungen der Wadenmuskulatur (insbesondere M. soleus), Achsabweichungen und unpassendes Schuhwerk zu nennen.
  • Ermüdungsbrüche: Stressfrakturen kommen bei Volleyballspielern häufiger im Bereich des Schienbeins vor, seltener am Mittelfuß.

 

Akute Verletzungen

  • Oberes Sprunggelenk: Die Sprungszone unter dem Netz ist sehr klein, so dass ein Spieler immer wieder auf dem Fuß eines Gegenspielers oder eines Mitspielers landet. Etwa 50 Prozent aller Verletzungen beim Volleyball betreffen das Supinationstrauma (Umknickverletzung) des Sprunggelenks mit all seinen möglichen Folgen.
  • Knie: Etwa 7 Prozent der Verletzungen beim Volleyball betreffen das Kniegelenk, meistens handelt es sich um Drehfeststelltraumen ohne Fremdeinwirkung. Meniskusläsionen und nicht selten isolierte Kreuzbandrupturen sind die Folge. Das Phänomen, dass Frauen im Volleyball häufiger als Männer Kreuzbandverletzungen erleiden (ca. Faktor 2) wird mit der unterschiedlichen Biomechanik erklärt. Frauen haben bei Sprung und Landung höhere Flexionswinkel als Männer.
  • Fingerverletzungen: Die Finger sind vor allem beim Blockspiel extrem verletzungsgefährdet, insbesondere durch falsches Timing. Besonders häufig finden sich Seitenbandverletzungen im Fingermittelgelenk (PIP) und auch am ulnaren Seitenband des Daumengrundgelenks. Interessanterweise nimmt die Häufigkeit und Schwere von Fingerverletzungen mit höherem Spielniveau ab.

 

Prävention und Rehabilitation

Aus den geschilderten Verletzungen ergeben sich folgende Schwerpunkte:

  • Zur Prävention der Sprunggelenkverletzungen ist ein aktives Stabilisierungsprogramm nötig, insbesondere zur Verbesserung der Propriozeption. Bei wiederholten Sprunggelenkverletzungen in der Anamnese ist eine Indikation zur Orthesenversorgung gegeben.
  • Bei Kniebeschwerden muss auf eine gute Balance zwischen Flexoren und Extensoren geachtet werden. In der Regel sind die Flexoren deutlich schwächer als die Extensoren. Ein gezieltes Auftrainieren der Hamstrings als Flexorengruppe sowie eine Kräftigung des Vastus medialis beeinflussen Patellabeschwerden positiv. Auch die Beinachse muss stabil sein.
  • Wichtig zur Prävention von Wirbelsäulenbeschwerden ist ein regelmäßiges Training der Rumpfmuskulatur. Das bedeutet, einen kontinuierlichen Belastungsaufbau durchzuführen und begleitende Maßnahmen wie regelmäßige statische, dynamische und sportartspezifische Übungen in den Trainingsprozess zu integrieren. Verkürzte Muskelgruppen, typischerweise Iliopsoas und Hamstrings-Muskulatur müssen aufgedehnt werden
  • Um Schulterbeschwerden zu vermeiden, ist eine gezielte Stabilisierung der Schultermuskulatur nötig. Besonders die Außenrotatoren („Scapula Setting“) sind für die Balance in der Schulter wichtig. Volleyballspezifisch wird diese Muskelgruppe wenig trainiert. Stabilisierungsübungen zur Aufrichtung aus der Brustkyphose zusammen mit einer Stabilisierung der Außenrotatoren, z.B. mit dem Theraband, sollten Inhalt jeder Trainingseinheit sein.
  • Ein Infraspinatus-Krafttest und eine Inspektion der Schulterblattmuskulatur sollten bei jedem Volleyballspieler regelmäßig durchgeführt werden, um ein mögliche Schädigung des N.suprascapularis frühzeitig zu erkennen
  • Zu jedem Training gehört ein adäquates Aufwärmen, Stretching und ein entsprechendes Muskelaufbauprogramm genauso ein anschließendes Cool-Down.

 

Sportlerbetreuung

Zu den Aufgabengebieten des Orthopäden bei einem großen Volleyballturnier gehören:

  • Begleitung bei Training und Wettkampf
  • Erstversorgung von Verletzungen
  • Koordination der weiteren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
  • Therapie und Prävention von Infektionen
  • Beratung mit Trainer und Physiotherapeut über Spiel- und Trainingspausen und dem „return to play“
  • Umsetzung der Empfehlungen der jährlichen sportärztlichen Untersuchungen am OSP
  • Beratung bzgl. Ernährung und der Nahrungsergänzungsmittel
  • Information der Spieler und Einhaltung der Anti-Doping-Regularien
  • Begleitung zu Anti-Doping-Tests
  • Kommunikation mit dem Arzt des Heimatvereins eines verletzten Spielers

Dies erfordert bei Veranstaltungen wie der Volleyball-Europameisterschaft, dass der betreuende Mannschaftsarzt rund um die Uhr im Einsatz ist.

Fazit des Autors

Volleyball ist eine faszinierende Sportart, die technisch wie athletisch höchst anspruchsvoll ist. Nicht zuletzt durch die hohe Sprungbelastung sind Verletzungen und Überlastungsschäden insbesondere der Sprung- und Schultergelenke für den Sportmediziner häufig zu finden. Wichtig für die Prävention ist es, ein Augenmerk auf die Beinachse, die Rumpfmuskulatur und die dorsale Oberschenkel- und Schultermuskulatur zu haben. Eine Inspektion der Schulterblattmuskulatur („Infraspinatusdelle“) sollte regelmäßig durch Physiotherapeuten stattfinden, ist aber auch durch Trainer und Mitspieler möglich.

Dr. Antonius Kass

Dr. Antonius Kass

Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin tätig in eigener Praxis in Düsseldorf;

1993 bis 2012 Mannschaftsarzt der Volleyball-Nationalmannschaften mit Betreuung bei EM, WM und Olympia,

seit 2011 Leitender Verbandsarzt des DTTB und Betreuer der Tischtennis-Nationalmannschaft,

seit 2014 der Para-TT-Nationalmannschaft, Arzt der Olympiamannschaft mit Teilnahme an fünf Olympischen Spielen, Leitender Mannschaftsarzt des DOSB bei zwei European Games, ehem. Leistungssportler im Volleyball (80 Länderspieleinsätze).